"Anthroposophie wird Kunst". - anthroposophie-muenchen.de [PDF]

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart. „Dies sollte unser Ideal sein: Formen zu

7 downloads 13 Views 5MB Size

Recommend Stories


Kompetenzforum Homöopathie und Anthroposophie
What we think, what we become. Buddha

Anthroposophie: Wissenschaft oder Wissenskultur?
In every community, there is work to be done. In every nation, there are wounds to heal. In every heart,

Wie ich Anthroposophie unterrichte
Don't be satisfied with stories, how things have gone with others. Unfold your own myth. Rumi

Land-Kunst Land-Kunst
We can't help everyone, but everyone can help someone. Ronald Reagan

53 stadt stadt kunst kunst
You can never cross the ocean unless you have the courage to lose sight of the shore. Andrè Gide

wein & kunst
Seek knowledge from cradle to the grave. Prophet Muhammad (Peace be upon him)

Medische kunst
You miss 100% of the shots you don’t take. Wayne Gretzky

Onzuivere kunst
Seek knowledge from cradle to the grave. Prophet Muhammad (Peace be upon him)

Literaire kunst
Be who you needed when you were younger. Anonymous

Schweizer Kunst
If you feel beautiful, then you are. Even if you don't, you still are. Terri Guillemets

Idea Transcript


Anthroposophie wird Kunst

Anthroposophie wird Kunst Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

ISBN 978-3-00-025311-9

Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland Arbeitszentrum München

EDN ICM PSSR

Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart Eine Dokumentation der Veranstaltungen der Anthroposophischen Gesellschaft in München nach hundert Jahren

Mit Beiträgen von: Werner Barfod Joachim Daniel Rudolf F. Gädeke Michaela Glöckler Roland Halfen Wilfried Hammacher Gerhard Herz Friedwart Husemann Armin Husemann Wolf-Ulrich Klünker Karl Lierl Serge Maintier Aiga Matthes Mechtild Oltmann Markus Osterrieder Sergej Prokofieff Lorenzo Ravagli Florian Roder Günter Röschert Robert Schmidt Marcus Schneider Hartwig Schiller Georg Schumann Virginia Sease Peter Selg Hans Supenkämper Andreas Weymann Kazuhiko Yoshida Ursula Zimmermann Herausgeber: Karl Lierl Florian Roder

01_Vorlauf

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 1

EDN ICM PSSR

01_Vorlauf

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 2

Dieser Band ist Sophie Stinde (1853–1915) und Pauline von Kalckreuth (1856–1929) gewidmet. Durch ihre Treue zur Anthroposophie und zu Rudolf Steiner ermöglichten sie den Münchner Kongress. Darüber hinaus dem Andenken an Frank Teichmann (1937–2006), dem langjährigen Freund und geistigen Befruchter der Münchner Arbeit.

01_Vorlauf

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 3

Anthroposophie wird Kunst Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

01_Vorlauf

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 4

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

„Dies sollte unser Ideal sein: Formen zu schaffen als Ausdruck des inneren Lebens. Denn in einer Zeit, die keine Formen schauen und schauend schaffen kann, muss notwendigerweise der Geist zum wesenlosen Abstraktum sich verflüchtigen und die Wirklichkeit muss sich diesem bloß abstrakten Geist als geistlose Stoffaggregation gegenüberstellen. – Sind die Menschen imstande wirklich Formen zu verstehen, z.B. die Geburt des Seelischen aus dem Wolkenäther der Sixtinischen Madonna, dann gibt es bald für sie keine geistlose Materie mehr. Rudolf Steiner

01_Vorlauf

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 5

J Im reinen Gedanken findest du Das Selbst, das sich halten kann.

Und was man glaubt, es sei geschehn, Kann man von weitem erst kommen sehn.

Wandelst zum Bilde du den Gedanken, Erlebst du die schaffende Weisheit.

Novalis

B Verdichtest du das Gefühl zum Licht, Offenbarst du die formende Kraft. Verdinglichst du den Willen zum Wesen, So schaffest du im Weltensein. Rudolf Steiner

01_Vorlauf

6

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 6

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Vorwort

E

in solches Werk der Öffentlichkeit zu übergeben, stellt ein gewisses Wagnis dar. Das betrifft die spirituelle Seite, aber auch die finanziell-wirtschaftliche. Wenn wir uns im Arbeitszentrum München dennoch nach längeren Überlegungen dazu entschlossen haben, hat das mehrere Gründe. Das Jahr 2007 markiert einen neuen Schritt in der Entwicklung des Arbeitszentrums. Von Anfang an war daran gedacht, eine kleinere, selbst produzierte Dokumentation herauszubringen – als Fest- und Erinnerungsschrift der Ereignisse und Veranstaltungen dieses vielfältigen Jahres. Beim Durchgehen der Beiträge wurde uns klar, dass wir das Geleistete gerne einem größeren Kreis von Lesern zur Verfügung stellen möchten. Es sind zu viele interessante und weiterführende Beiträge zustande gekommen, als dass wir uns auf den engeren Münchner Umkreis beschränken wollten. Durch die Zusammenarbeit mit der Kooperative Dürnau, die den Vertrieb des Buches übernommen hat, ist uns das möglich geworden. Der vorliegende Band ist nichts weniger als die erste umfassende Veröffentlichung zum Münchner Kongress seit hundert Jahren. Eine gewisse Ausnahme macht das Buch von Peter Selg: „Ich bleibe bei Ihnen“: Rudolf Steiner und Ita Wegman. München, Pfingsten 1907 (Stuttgart 2007). Doch auch dieses Werk hängt unmittelbar mit den Feierlichkeiten des Jahres 2007 zusammen. Es ist aus einem Beitrag von Peter Selg auf der Pfingsttagung 2007 in München hervorgegangen. Autor und Verlag haben uns freundlicherweise erlaubt, ein zentrales Kapitel aus dem Buch in die Dokumentation aufzunehmen.

Zur Vertiefung des Themas sei ausdrücklich auf Peter Selgs Arbeit verwiesen. Weitere Autoren aus dem anthroposophischen Bereich konnten gewonnen werden. Es sind, alle zusammen gerechnet, dreiunddreißig Persönlichkeiten: Von Friedwart Husemann bis Sergej Prokofieff; von Rudolf F. Gädeke und Markus Osterrieder bis Lorenzo Ravagli und Günter Röschert; von Andreas Weymann und Michaela Glöckler bis zu Virginia Sease und Armin Husemann; von Marcus Schneider und Roland Halfen bis zu Mechtild Oltmann und Wolf-Ulrich Klünker – um nur die bekanntesten zu nennen. Die Wiedergabe ist auf verschiedenen Wegen erfolgt, teils durch Autoreferate, teils durch Ausschreiben der mit geschnittenen Vorträge, teils durch zusammenfassende Wiedergabe eines Teilnehmers. Um was es sich jeweils handelt, ist im Vorspann angemerkt. Die Wiedergabe folgt im Ganzen dem Ablauf des Jahres 2007. Die dabei vorwaltenden Gesichtspunkte sind in der Einführung dargestellt. Eine gewisse Ausnahme macht der Beitrag von Hartwig Schiller. Er geht auf einen Vortrag zurück, den dieser erst Anfang 2008 in München gehalten hat. Es schien uns dennoch sinnvoll, ihn einzubeziehen. Es ist bestimmt kein Zufall, dass der Keim der späteren Waldorfpädagogik – die kleine Schrift „Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft“ — genau zur gleichen Zeit an die Öffentlichkeit gebracht worden ist wie der Münchner Pfingstkongress. In der Pädagogik wird Anthroposophie auf ganz besondere Art „Kunst“. So steht Hartwig Schillers Beitrag an der Stelle, an der die (nicht do-

01_Vorlauf

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 7

7

kumentierte) Veranstaltung von Anna Seydel im Oktober 2008 stattfand. Einen unverzichtbaren Akzent in diesem Jahr mussten natürlich die künstlerischen Veranstaltungen setzen. Es waren insgesamt vier, die mit großem personellen Aufwand und Einsatzkraft durchgeführt wurden: „Das Geheimnis der Planetensiegel“ im März unter Leitung von Ursula Zimmermann, die „Zwölf Stimmungen“ von Rudolf Steiner im Gasteig unter Verantwortung von Aiga Matthes, das Mysteriendrama „Die Pforte der Einweihung“ unter Leitung von Robert Schmidt im Juli und die Planetensiegel-Betrachtung durch Emi und Kazuhiko Yoshida und Karl Lierl am Jahresende. Diese Veranstaltungen sind leider nur unvollkommen zu dokumentieren. Wir haben uns geholfen durch Fotos, Teilnehmerberichte und zusammenfassende Referate. Überhaupt sind wir außerordentlich froh über die zahlreichen, teils farbigen Abbildungen. Sie ermöglichen auch dem, der nicht dabei gewesen ist, ein seelisches „Hineinschmecken“ und lassen die menschliche Seite sichtbar anklingen. Besonders gilt das überdies für Beiträge, in denen Kunstwerke wiedergegeben sind, wie im Aufsatz von Andreas Weymann (mit Bezug zu den Malern des „Blauen Reiters“) oder im Schlussbeitrag von Sergej Prokofieff (mit Bezug auf Fenster und Kuppelausmalung des Ersten Goetheanums). Die Dokumentation zum Kongress und dem Jubiläumsprogramm im engeren Sinne finden Sie im ersten Teil des Bandes. Neben manchem andernorts schon Veröffentlichten, das in den Gesamtzusammenhang gehört, stoßen Sie auch auf gänzlich Neues. So

die orientierende Karte von MünchenSchwabing, aus der die enge örtliche und zeitliche Verflechtung des Kongresses mit der Münchner Künstlerszene um 1900 hervorgeht. Eine Erstveröffentlichung ist die Namensliste der am Kongress angemeldeten Teilnehmer, die zu weiteren biografischen Forschungen anregen kann. Die RudolfSteiner-Nachlassverwaltung in Dornach stellte uns die Liste dankenswerterweise zur Verfügung. Hier ist auch der Ort, etwas über Wiederholungen zu sagen. Im dokumentarischen Teil finden Sie naturgemäß gelegentlich Wiederholungen. Aber auch im inhaltlichen Teil wird das der Fall sein, z.B. in Bezug auf das Leitmotiv der Säulensprüche oder gewisser biografischer Schlüsselmomente bei Rudolf Steiner. Wir haben uns, trotz einer gewissen Vereinheitlichung in der Darstellung, entschlossen, die Wiederholungen stehen zu lassen. Das Vorliegende ist kein streng wissenschaftlicher Tagungsband mit dem Anspruch auf volle Durchsichtigkeit. Es ist ein Band von unterschiedlich ausgeformten Beiträgen, deren jeweilige individuelle Geste wir erhalten wollten. Der Haupttitel des Bandes wird in der Einleitung erläutert. Beim Untertitel könnten Einwände auftreten: „Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart“. Ist dieser Anspruch erfüllt? Ist nicht ein Überhang geschichtlicher Beiträge festzustellen, die interessante Gesichtspunkte des Kongresses und seines Umfeldes herausarbeiten, mit „Gegenwart“ jedoch wenig zu tun haben? Eine einfache Antwort ist hier nicht möglich. Bewusst haben wir zunächst versucht,

01_Vorlauf

8

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 8

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Das Jahresprogramm 2007 und die eigens für das Jubiläumsjahr gestalteten Eintrittskarten (Vorderund Rückseite).

Ansätze des Kunstwerdens der Anthroposophie mit einzubeziehen, die bis in die unmittelbare Gegenwart fruchtbar wirksam im Sozialen sind – so in der Landwirtschaft (Arnold Supenkämper), Medizin (Friedwart Husemann), Unternehmensführung (Gerhard Herz) und Pädagogik (Hartwig Schiller). Über solchen Gegenwartsbezug im Sinne der zeitnahen Aktualität hinaus kann man die Frage der Vergegenwärtigung noch in einer tieferen, gleichsam philosophischen Bedeutung stellen. Sie hängt davon ab,

ob dem Autor beim Schreiben ein echtes Lebendigwerden gelungen ist. Und sie hängt, nicht weniger stark, davon ab, ob der jeweilige Leser individuell etwas in seiner Seele lebendig werden lässt – ob an einer bestimmten Stelle ein Funke einschlägt, der Begeisterung weckt, vielleicht eine lebenslange Beschäftigung mit dem Thema auslösend. Vergegenwärtigung heißt hier: Das Ergreifen des jetzigen Momentes, in einem Bewusstsein geistiger Gegenwart, das nicht ohne Vorarbeit, aber immer durch Gnade in die gewöhnliche Seelenverfassung einschlägt. Jeder kennt diese seltenen, wertvollsten Augenblicke, in deren reiner Gegenwart Zukunft und Vergangenheit blitzartig mit anwesend sind. Nehmen wir an, beim lesenden Nachvollziehen der Begegnung Ita Wegmans mit Rudolf Steiner; beim Sich-Vertiefen in die Frage, wie Rudolf Steiner als Künstler geschaffen hat oder wie er den Grundbegriff des Ästhetischen neu und revolutionär fasst; beim Erarbeiten der Säulensprüche, die viele Menschen kennen, aber wenige für sich durchdrungen und aufgeschlossen haben, entstehen derartige geistige Blitzereignisse, die vielleicht sogar zu längerem meditativen Umgang führen – so wäre die höchste Form der Vergegenwärtigung erreicht. Dann erledigt sich die Frage nach dem Gegenwartsbezug, weil jeder Einzelne auf dem Feld der inneren Erfahrung zu geistigen Beobachtungen und Berührungen gelangt. Ob das jeweils gelingt, darauf kann es nur individuelle Antworten geben. Wir hoffen aber, dass der Band gerade auch in der Vielzahl der Zugänge einige Anreize für Sie enthält.

01_Vorlauf

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 9

Vorwort

Danksagung Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus – oder sollen wir sagen, ihre Lichter? Jedenfalls war die hundertjährige Wiederkehr des Münchner Kongresses unzweifelhaft für die hiesige Arbeit ein großes Ereignis. Schon etliche Jahre zuvor gab es einzelne Beiträge und Darstellungen, so von Rudolf F. Gädeke einen Vortrag im Jahr 2003, ebenso von Friedwart Husemann sowie von Karl Lierl einen Beitrag auf dem Mitgliedertag 2004. Im Sommer 2006 begannen dann die konkreten Vorbereitungen durch die drei Genannten. Ihnen gebührt mithin der allergrößte Dank – für die Idee, das Ganze in so gewaltigem Umfang durchzuführen, für Begeisterung und Durchhaltekraft! Wenn ich unter den dreien nochmals Karl Lierl hervorhebe, so deshalb, weil er nicht nur die Idee hatte, alle Veranstaltungen in ein Gesamt-Jahresprogramm zu fassen und dann daraus eine Dokumentation zu erarbeiten, sondern weil er auch die zeitraubende Riesenarbeit auf sich genommen hat, mit grafischer Kompetenz und Findigkeit diese Dokumentation zu erstellen. Es ist klar, dass wir ohne seine in vollem Umfang geschenkte Hilfe gar nicht zu dem vorliegenden Ergebnis gekommen wären. Claus Rasmus gebührt besonderer Dank für die redaktionelle Betreuung des Ganzen, die er mit hoher Zuverlässigkeit und Professionalität durchgeführt hat. Elke Farsen möchten wir danken für hingebungsvolles Korrekturlesen. Dagmar von Wistinghausen für den Einsatz bei der archivarischen Arbeit, was uns zum ersten Mal eine Übersicht über den vorhandenen Bestand in München ermöglicht. Lorenzo Ravagli hat den Band nochmals inhaltlich und formal durchgearbeitet, was zu sinnvollen Straffungen und zur Überarbeitung einzelner Beiträge führte. Gabriele Aurbach gebührt Dank als Schatzmeisterin für das Mittragen der finanziell nicht unerheblichen Aufwendungen. Schließlich haben sich eingesetzt beim Werden des Buches Gudrun Heinrich,

dazu auch Irene May. Sie haben mit endloser Geduld die kryptischen Äußerungen der auf Tonband eingefangenen Rednerstimmen in einen lesbaren Ersttext verwandelt und auch sonst redaktionell geholfen. Der Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung in Dornach möchten wir Dank abstatten für die Überlassung bisher unveröffentlichter Dokumente. Namentlich mit Roland Halfen, der mit einem überarbeiteten Vortrag und mit Bildmaterial auch inhaltlich an dem Entstehen des Bandes mitgewirkt hat, war die Zusammenarbeit sehr erfreulich. Schließlich sei allen, die inhaltlich beigetragen haben zu dem Buch, ein großes „Dankeschön“ zugerufen! Ohne den enormen Zeit- und geistig-seelischen Kraftaufwand, den sie erbracht haben, hätte der Band weder Substanz noch Vielfalt gewinnen können. Das Buch ist drei Persönlichkeiten gewidmet: Sophie Stinde (1853–1915) und Pauline von Kalckreuth (1856–1929), die am Ursprung des anthroposophischen Lebens in München stehen und ohne die es buchstäblich keinen Kongress gegeben hätte. Außerdem Frank Teichmann (1937–2006), der über Jahrzehnte regelmäßig Gastredner in München war und mit seiner lebendigen Art maßgeblich das Interesse an bewusstseins- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen geweckt hat. Auch das Feierjahr 2007 mit dem Rückblick auf den Umschwung 100 Jahre zuvor hatte bei ihm Begeisterung geweckt. Eine Veranstaltung, die für Oktober 2007 schon vereinbart war, konnte wegen seines Schwellenübertritts im Dezember 2006 nicht mehr stattfinden. Wir haben aber das Gefühl, dass er die Münchner Arbeit weiterhin mit freundlichem Geistesblick begleitet. München, 15. Juli 2008

Florian Roder

9

01_Vorlauf

10

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 10

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Inhaltsverzeichnis

Einleitung Florian Roder, München um 1900 – wo Geister wandern . . . . . . . . . . . . . . . Seite 13 Rudolf Steiner und München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 19 Wer wohnte wo in München? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20 Veranstaltungsprogramm 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 22 Planetensiegel und Säulenkapitelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 28 Die apokalyptischen Siegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 36 Teilnehmerliste Münchner Kongress 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 44 Florian Roder, Sophie Stinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 50 Karl Lierl, Pauline von Kalckreuth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 53 Karl Pollmann, Die Münchner Jugend zu Beginn des 20. Jahrhunderts . . . . . . Seite 58 Vorträge und Veranstaltungen 2007 Friedwart Husemann, Gräfelfing Tempelbau und Opferflamme – die Erneuerung der Mysterien durch die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 69 Rudolf F. Gädeke, München Der Theosophische Kongress Pfingsten 1907 – Geburtsstunde der selbstständigen Anthroposophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 72 Markus Osterrieder, Krailling Der Münchner Pfingstkongress 1907 vor dem Hintergrund der zeitgenössischen okkulten Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 85 Lorenzo Ravagli, München Theosophie und Anthroposophie – zur Geschichte einer spannungsreichen Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 119 Joachim Daniel, Dornach/Schweiz Kann man Wissenschaft wie Kunst betreiben? Goethes Wissenschaft und die Idee der Metamorphose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 131 Werner Barfod, Dornach/Schweiz Die eurythmischen Tierkreisgesten – zwölf Formen der Seele in ihrem Verhältnis zur Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 139

01_Vorlauf

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 11

Veranstaltungen 2007 in München · Inhaltsverzeichnis

Florian Roder, München Biographische Motive im Umkreis des Münchner Kongresses: Sophie Stinde, Pauline von Kalckreuth, Felix Peipers . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 143 Serge Maintier, Freiburg/Straßburg Fichte, Schelling, Hegel: Ihre Büsten schauten die theosophische Welt von damals an – warum diese Provokation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 153 Georg Schumann, Ursula Zimmermann Das Geheimnis der Planetensiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 171 Der Kosmos der sieben Planeten und Musik von Johann Sebastian Bach Eurythmieaufführung. Mitwirkende: Eurythmisten aus dem Umkreis des Goetheanums. Leitung: Ursula Zimmermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 178 Günter Röschert, München Beständigkeit und Stärke – die Säulen Jachin und Boas . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 181 tritonus ensemble münchen Eurythmieaufführung: Rudolf Steiner „Zwölf Stimmungen“ . . . . . . . . . . . . . Seite 191 Schauspiel von Wilfried Hammacher, Musik Raimund Schwedeler Raphael und der Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 195 Andreas Weymann, Berlin Schwellensituationen im Werk von Franz Marc, Wassily Kandinsky und Alexej Jawlensky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 198 Der Bau wird Mensch Pfingsttagung zur 100. Wiederkehr des Münchner Kongresses Michaela Glöckler, Dornach/Schweiz Die apokalyptischen Siegel und das Geheimnis der menschlichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 205 Peter Selg, Ita-Wegman-Archiv, Arlesheim/Schweiz Ita Wegman und München 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 222 Virginia Sease, Dornach/Schweiz Das esoterische Rosenkreuzertum als kulturbildende Kraft . . . . . . . . . . . Seite 241 Armin Husemann, Stuttgart Rudolf Steiner als Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 254 Die Pforte der Einweihung (Initiation) Ein Rosenkreuzermysterium durch Rudolf Steiner Studien-Aufführung des Spieler-Kreises München Inszenierung und Regie: Robert Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 263 Hans-Arnold Supenkämper, Höhenberg, Velden/Vils Heilung der Erde. Was braucht die Erde – heute? Was will uns die Natur in ihrer Not zeigen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 271

11

01_Vorlauf

12

08.08.2008

9:24 Uhr

Seite 12

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Marcus Schneider, Basel/Schweiz Durch die Schuld geht der Weg zur Freiheit – Wirkungen von Kain und Abel bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 280 Mechthild Oltmann, Berlin; Wolf-Ulrich Klünker, Rondeshagen Die Gegenwart der Apokalypse – und die Zukunft des Ich . . . . . . . . . . . . . . . Seite 287 Gerhard Herz, Gröbenzell Unternehmensgestaltung aus den Tierkreiskräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 295 Hartwig Schiller, Stuttgart Ein epochaler pädagogischer Vortrag und seine Folgen − die „Erziehung des Kindes“ als Grundlage pädagogischer Kunst . . . . . . . . . Seite 301 Florian Roder, München Jachin und Boas auf dem Münchner Kongress und die Säulensprüche Rudolf Steiners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 317 Emi und Kazuhiko Yoshida, Karl Lierl, München Schauendes Hören – hörendes Schauen Planetensiegelbetrachtung, Musik, Eurythmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 339 Roland Halfen, Stuttgart Das Sichtbare und das Unsichtbare – vom Münchner Kongress zum Dornacher Bau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 356 Friedwart Husemann, Andrea Stückert, Erika Leiste, Laura Montserrat-Gleissberg, München Menschenwissenschaft durch Kunst – seelische Übungen zur Gesundheitsstärkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 383 Sergej Prokofieff, Dornach/Schweiz Das Erste Goetheanum und das Fünfte Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 393 Kurzbiografien der Vortragenden und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 425 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 430 Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft (Deutsche Sektion) wohnhaft oder gemeldet in München zwischen 1902 und 1912 . . . . . . . . . . . Seite 431

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 13

München um 1900 – Wo Geister wandern

13

Florian Roder

München um 1900 — wo Geister wandern

Der Historiker ist ein rückwärts gekehrter Prophet. FRIEDRICH SCHLEGEL

M

ünchen war um 1900 bekanntlich ein Anziehungsund Sammelpunkt junger Künstler – von Schriftstellern, Malern, Bildhauern und Intellektuellen. Sie verkehrten in unterschiedlichen Kreisen, die sich teilweise überschnitten, teilweise nebeneinander herlebten. Wenn wir von München reden, ist das eigentlich zu ungenau. Genauer müssen wir von Schwabing sprechen. Schwabing, nicht lange eingemeindet von der jungen, aber mächtiger werdenden Großstadt und gerade dabei, vom Netz der elektrischen Straßenbahn erfasst zu werden, trug damals noch stärker einen eigenen Charakter. Hier hausten die jungen Künstler, hier trafen sie sich in Kneipen und Wirtshäusern, hier bildeten sich literarische Kreise und lösten sich wieder auf. Man braucht nur einige Straßennamen zu nennen, um zu sehen, auf wie engem Raum all das passierte. Künstler, damals noch weitgehend unbekannt, später zu Weltruhm gelangend, wohnten gewissermaßen Straße an Straße. Paul Klee (1879–1940) zog 1898 nach München, wo er seine Studienzeit an der Kunstakademie verbrachte. Nach Wanderjahren und seiner Heirat mit Lily Stumpf kehrt er 1906 zurück nach München, in ein Gartenhaus in der Ainmillerstraße 32 – „leider nicht in

bester Lage, sondern in Schwabing“, wie er nach Hause schreibt (1). Im Jahr 1908 hat Klee dort seinen Durchbruch als Zeichner, nach einer langen, geduldig durchgestandenen Vorbereitungszeit. Bei einem alltäglichen Motiv – „Belebte Straße mit dem Balkon“ – kann er sich erstmals bis zu einem gewissen Grad von der rein gegenständlichen Wiedergabe lösen. „Gesehen hatte ich das Bild schon einige Tage vorher, natürlich vom Küchenbalkon aus, welches mein einziger Ausgang war. Dann vermochte ich mich von allem Zufälligen dieses Stückes ‚Natur‘ loszulösen, sowohl in der Zeichnung als in der Tonalität und gab nur das ‚Typische‘ in durchgedachter formaler Genesis wieder. Ob ich nun aus dem Dickicht wirklich heraus bin? Dieser Küchenbalkon, das unbebaute Feld, die Hohenzollernstraße. Der Ausblick eines Gefangenen in mehrfacher Richtung.“ Klee, der als eindringlicher Selbstbeobachter sich des Bedeutsamen seines Schrittes sogleich bewusst ist, nennt es „ein Hauptdokument für die Befreiung aus der Enge“ (2). Der reife Maler und Zeichner, der mit seiner musikalischen Linienkunst die Menschen verzaubern wird, kündigt sich an. Im Dezember 1908 mietet sich Klee ein kleines Dachatelier in der Feilitzschstraße 3/IV. Eine Gedenktafel erinnert dort an ihn.

Vorwort und Einleitung zum gedruckten Jahresprogramm für 2007, das im Herbst 2006 erschien.

Paul Klee in seinem Atelier in München.

02_Einleitung-2

14

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 14

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Ein anderer Künstler, vier Jahre älter als Klee, kommt etwas früher ins aufstrebende München. Es ist Rainer Maria Rilke (1875–1926). Auch er wohnt da zu Studienzwecken. Er mietet sich zwei Zimmer in der Briennerstraße 48 und schreibt sich an der Universität ein für italienische Kunstgeschichte der Renaissance und Ästhetik. Rainer Maria Rilke Im Mai 1897 begegnet Rilke, gerade 21 geworden, der vierzehn Jahre älteren Lou Andreas-Salomé, die mit einer Freundin in der Schellingstraße wohnt. Ein Liebesverhältnis entsteht, das für den jungen Dichter menschlich und poetisch zu einem Wendepunkt seiner Entwicklung werden sollte. Mit Lou unternimmt Rilke auch seine beiden wichtigen Russlandreisen. Erst in den Jahren des Ersten Weltkrieges wird der Dichter nach München zurückkehren. Eine entscheidende Wende liegt zwischen den Aufenthalten, wiederum mit dem hier interessierenden Jahr korrespondierend. Es ist in Frankreich, dass Rilke durch die Begegnung mit Rodin und Cézanne zu einem neuen Stilansatz durchstößt. Der Künstler möchte nicht mehr seine Empfindungswelt über die Erscheinungen ergießen; er will diese aus sich selber sprechen lassen. Im Jahr 1907 wird die erste Frucht seiner Bemühung veröffentlicht. Es sind die „Neuen Gedichte“. Die Geburt des „DingGedichtes“ – man Stefan George denke nur an den berühmten „Panther“ – kann hier beobachtet und mitvollzogen werden (3).

Besonders eng mit München verbunden ist Stefan George (1869– 1933) und sein Kreis. Wie schon bei Rilke und Klee, verbringt der junge George seine Studienzeit in der bayerischen Kulturstadt. Dort lernt er seinen engsten Mitstreiter, Karl Wolfskehl kennen, außerdem Ludwig Klages u. a. Ab 1900 logiert George bei den Wolfskehls in der Leopoldstraße 51, ab 1909 in der Römerstraße 16. Dort wird ihm von Wolfskehl eine Dachwohnung im vierten Stock eingerichtet und ständig freigehalten. Auch für George bezeichnet das Jahr 1907 einen Umschlag. Es erscheint der Gedichtband „Der siebente Ring“. Im gleichen Jahr kommt es zu einem engeren Zusammenschluss des Kreises. Dieser versteht sich zunehmend als Elite, die ihren Anspruch einer ästhetischen Durchdringung der Wirklichkeit zur allgemeinen Kulturpolitik erweitern will, natürlich mit dem auserwählten geistigen Führer George an der Spitze. Es lohnt sich, einen Blick auf einige Charakteristiken der Zeit zu lenken, die versuchen, das Typische des Schwabinger Lebensgefühls herauszuheben. Franziska von Reventlow benennt Schwabing in einem Schlüsselroman von 1913 mit dem poetischen Ausdruck „Wahnmoching“: „Wahnmoching im bildlichen Sinne geht weit über den Rahmen eines Stadtteils hinaus. Wahnmoching ist eine geistige Bewegung, eine Richtung, ein Protest, ein neuer Kult oder vielmehr der Versuch, aus uralten Kulten wieder neue religiöse Möglichkeiten zu gewinnen – Wahnmoching ist noch vieles, vieles andere, und das werden Sie erst allmählich begreifen lernen.“ (aus: „Herrn Dames Aufzeichnungen“) Eine andere Charakteristik von dem Franzosen René Prévost lautet: Schwabing „war lange die ästhetische Experi-

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 15

München um 1900 – Wo Geister wandern

mentierstation der Kulturhauptstadt München.“ Schließlich sei eine Zeile aus dem erwähnten Gedichtband Georges gebracht: „München. Mauern wo Geister noch zu wandern wagen.“ (5) – Soviel zur Symptomatik von München um die Jahrhundertwende (und zum Jahr 1907 im besonderen).

Geisteinschlag vor hundert Jahren Das individuelle Eingangstor für den Münchner Kongress bildeten zwei Persönlichkeiten, die im Mittelpunkt des theosophisch-anthroposophischen Lebens standen: Sophie Stinde (18531915) und Pauline von Kalckreuth (1856-1929). Eng miteinander befreundet, lebten beide zusammen im rosaroten Kalckreuth'schen Haus in der Adalbertstraße 55, an der Grenze zwischen Schwabing und Maxvorstadt. Beide Damen sind künstlerisch hoch begabt; beide haben eine Ausbildung zur Malerei durchlaufen. Doch beide haben sich unverbrüchlich dem Dienst an der entstehenden Geisteswissenschaft verschrieben. Ohne ihren unermüdlichen Einsatz, ihr Verantwortlichsein bis ins letzte Detail wäre das Unternehmen buchstäblich nicht durchführbar gewesen. Von der hiesigen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – der Vierte Kongress der Föderation Europäischer Sektionen der Theosophischen Gesellschaft war ein internes Treffen europäischer Theosophen –, machte er doch tiefen Eindruck bei den etwa 600 teilnehmenden Mitgliedern – im Positiven wie im Negativen. Er wurde als neuer, mutiger Schritt begrüßt oder als Abkehr von traditionellen Veranstaltungen abgelehnt. Worum ging es Rudolf Steiner bei dem Vorhaben? Es ging ihm um nichts weniger als um ein Anknüpfen an die alten Mysterien, aber in erneuerter

Form. Es ging ihm darum, zu zeigen, wie die werdende, von der theosophischen Mutterhülle noch halb verdeckte Anthroposophie in der Lage ist, nicht nur die Gemüter innerlich zu ergreifen und mit neuen Denkbildern über Menschheit und Welt zu versorgen, sondern auch, das innerlich Erfasste schöpferisch nach außen treten lassend, den umgebenden Raum verändernd zu ergreifen. Nur folgerichtig, dass dem künstlerischen Element eine tragende Rolle zufallen musste: „Dies sollte unser Ideal sein“, schreibt Steiner schon 1905 in einem Brief an Marie von Sivers, „Formen zu schaffen als Ausdruck des inneren Lebens. Denn einer Zeit, die keine Formen schauen und schauend schaffen kann, muss notwendigerweise der Geist zum wesenlosen Abstraktum sich verflüchtigen und die Wirklichkeit muss sich diesem bloß abstrakten Geist als geistlose Stoffaggregation gegenüberstellen. – Sind die Menschen imstande, wirklich Formen zu verstehen z. B. die Geburt des Seelischen aus dem Wolkenäther der sixtinischen Madonna: dann gibt es bald für sie keine geistlose Materie mehr“ (6). Und im begleitenden Kongressprogramm heißt es diesbezüglich erläuternd: „Das Maßgebende bei allen diesen Veranstaltungen wird sein, zum Ausdruck zu bringen, dass die Theosophie nicht nur eine Summe von theoretischen Anschauungen bleiben muss, sondern die Umwandlung in das Sinnlich-Anschauliche und stimmunggemäß Wahrnehmbare erfahren kann. Auf diesem Wege muss sie ja befruchtend auf die übrige Kultur wirken“ (7). Die Kunststadt München bot dafür den einzig geeigneten Mutterboden. Es ging, mit einem Wort, um ein Verwan-

Franziska von Reventlow

15

02_Einleitung-2

16

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 16

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

nen künstlerischen und technischen Mitteln. Und doch ist es der Beginn des anthroposophischen Kunststrebens.

Bemerkungen zum Titel

Rudolf Steiner in Kristiania (Oslo) bei Familie Reitan, 1908.

deln des gesamten Lebens. Die drei leuchtenden Ideale der Menschheit – Kunst, Wissenschaft und Religion – sollten in einheitlicher, selbstloser Weise zusammenwirken. Richard Wagner hatte dies, knapp 60 Jahre zuvor, mit seiner Idee des Gesamtkunstwerkes erträumt und erstmals anfänglich verwirklicht. Jetzt, mit Steiners neuem Anlauf, sollte ein weiterer Schritt in diese Richtung vollzogen werden – nicht von dem genialen, aber menschlich zwiespältigen Künstler ins Werk gesetzt, vielmehr von einem besonnen wirkenden Denker und Eingeweihten, der auch als rein menschliches Vorbild dienen konnte. Dabei blieb Rudolf Steiner sich voll bewusst, dass es ein allererster Versuch war, mit unvollkomme-

Lange haben wir in der Vorbereitungsgruppe und im Kollegium um den angemessenen Titel gerungen. Schließlich einigten wir uns auf „Anthroposophie wird Kunst.“ Damit sollte – in einem Satz, der selber ein Geschehen ausdrückt – eben jener angedeutete Übergang von einer denkerisch-innerlich erfassten Geisteswissenschaft zu einem kunstartigen Ergreifen der Wirklichkeit bezeichnet werden. Das religiöse Element ist darin natürlich mitgedacht. Es liegt einerseits in dem Gemeinschaftlichen des Tuns, das nur aus selbstlosem Zusammenwirken erwachsen kann. Von der inhaltlichen Seite her wird es mit dem Mysterienspiel „Das heilige Drama von Eleusis“ angeschlagen, das, durch Edouard Schuré verfasst, von Marie von Sivers übertragen und von Rudolf Steiner neu eingerichtet und mit Laien inszeniert, der gesamten Veranstaltung einen kultischen Charakter verlieh. Der Untertitel soll betonen, dass wir keine historische Aufarbeitung im üblichen Sinn durchführen wollen; ebenso wenig eine nostalgische Rückbesinnung. Alles Geschichtliche soll als Keim für die Gegenwart und Zukunft betrachtet werden, ganz im Sinn des Mottos von Friedrich Schlegel. Wie weit das im Einzelnen gelingt, hängt natürlich von der Geistesgegenwart der Redner und Künstler und den lebendigen Anstrengungen der Zuhörer und Zuschauer ab. Es ist das Verdienst der ursprünglichen Vorbereitungsgruppe, dass der Münchner Kongress von 1907 nun in so umfangreicher und weit gefächerter Weise nach 100 Jahren gewürdigt wird. Rudolf F. Gädeke als intimer Kenner

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 17

München um 1900 – Wo Geister wandern

der einschlägigen Zusammenhänge setzte sich begeistert ein für das „Jubeljahr“ 2007. Von ihm stammt u. a. die Idee der inhaltlichen Gliederung des Jahres. Mit gleicher Begeisterung stieg Dr. Friedwart Husemann in die Sache ein. Ihm ist vor allem die Konzeption des Pfingstkongresses 2007 zu verdanken. Von Karl Lierl, dem Dritten im Bunde, der dankenswerterweise wieder die grafische Gestaltung übernommen hat, stammt schließlich der Einfall, die Veranstaltungen über das ganze Jahr auszudehnen und ein entsprechendes Übersichtsprogramm bereits im Herbst 2006 erscheinen zu lassen. – Florian Roder, etwas später dazu stoßend, hat dann vor allem die Koordination und inhaltliche Ausgestaltung übernommen.

Überblick zum Programm Das Programm erstreckt sich über drei Trimester. Entsprechend haben wir versucht, drei Hauptschritte anzulegen. Das erste Trimester hat einen einführenden Zug, indem geistige Voraussetzungen und geschichtliche Hintergründe des Münchner Kongresses beleuchtet werden. Die Veranstaltungen tragen einen wissenschaftlichen Charakter. Im Sommertrimester weicht dies einer insgesamt künstlerischen Durchdringung. Der Herbst steht dann vor allem im Zeichen der gesellschaftlichen und künstlerischen Auswirkungen des Keimes in der heutigen Kultur. Hier ist also der Zukunftsaspekt am stärksten betont. Das sind Hauptzüge, die nirgends engherzig durchgehalten wurden, aber einen Grundton für die jeweilige Periode aufklingen lassen. Das Jubiläumsjahr wird eingeläutet noch in der Weihnachtszeit 2006 durch einen Vortrag von Rudolf F. Gädeke über den Münchner Kongress als „Geburtsstunde der selbstständigen An-

throposophie.“ Davor, um 18 Uhr, findet für Mitglieder der Hochschule für Geisteswissenschaft eine Klassenstunde mit unmittelbarem Bezug auf die Frage der Mysterienerneuerung statt, als freie Klassenstunde gehalten von Dr. Friedwart Husemann. Überschauen wir das gesamte Jahr, können wir drei Schwerpunkte finden, die durch Tagungen bezeichnet sind. Die erste findet Mitte März statt, verantwortet durch Dr. Heinz Zimmermann* und Ursula Zimmermann. Sie ist dem „Geheimnis der Planetensiegel“ gewidmet, mit einer Betonung auf dem Übungselement und einer abschließenden eurythmischen Aufführung zu den Planetensiegeln im Theater Leo 17. In der Pfingstzeit 2007 findet die eigentliche Gedenktagung des Münchner Kongresses statt, unter dem Titel „Der Bau wird Mensch“. In einer Reihe von Vorträgen werden Dr. Michaela Glöckler, Dr. Peter Selg und Dr. Virginia Sease sprechen. Der Abschluss am Sonntag wird dem Ansatz einer plastisch-musikalisch-sprachlichen Menschenkunde und dem Wesen der sieben Säulen gewidmet sein. Christian Hitsch, Dr. Armin Husemann und Dr. Serge Maintier sind die Referenten. Der Herbst steht dann im Zeichen einer kleinen Wochenendtagung, die auf die Zukunft des Menschseins schaut. Der leitende Gedanke ist hier, einen Ausblick anhand der Apokalypse des Johannes anzuregen und zugleich Rudolf Steiners Nürnberger Ausführungen über die Apokalypse im Folgejahr 1908 als historischen Keim einzubeziehen. Mechthild Oltmann, deren Lebensthema die Apokalypse ist und Dr. Wolf-Ulrich Klünker haben sich bereit gefunden, über die „Gegenwart der Apokalypse“ in Darstellung und gemeinsames Gespräch einzutreten.

17

* Leider konnte Dr. Zimmermann wegen Krankheit seinen Vortrag nicht halten. An seiner Stelle sprach dankenswerterweise Georg Schumann, München, über die Planetensiegel.

02_Einleitung-2

18

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 18

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Nochmals ein Blick auf München um 1900 Wir erinnern uns an die eingangs beschriebenen Wege der drei Künstler Klee, Rilke und George wie an die aufschlussreichen Charakteristiken des Schwabinger und Münchner Lebensgefühls. Franziska von Reventlow sprach von „Wahnmoching“ als einer geistigen Bewegung, dem Streben nach einem neuen Kult, der aus uralten Kulten hervorgehen sollte. Der Franzose Prévost steuerte die Bezeichnung von der ästhetischen Experimentierstation bei. Wurde beides nicht durch den Einschlag der Geisteswissenschaft erfüllt? Handelt es sich nicht wirklich um einen neuen Kult, der in keinem bloß sammelnden Zusammenmischen besteht; der vielmehr zu einer neuen, real-geistigen Grundlage führt, die dem gegenwärtigen Bewusstsein gerecht wird? Und ist es nicht zutreffend, von einer echten Experimentierstation zu sprechen, die auf künstlerischem Feld schöpferisch wird, ohne in Willkür und Phantasie zu verfallen? Auch Georges Aussage vom Wandern der Geister könnte man erneut anführen. Es ist nicht restlos klar, worauf der Dichter damit deuten wollte. Wohl auf die freie Entfaltungsmöglichkeit des Münchner Bodens. Doch auch hier dürfen wir eine Ebene höher tasten. Wir können das Wandern der Geister auch als übersinnliches Handeln verstehen, das freilich in der Sinneswelt seine Folgen, seinen Ausdruck findet. Der Maler Klee und der Dichter Rilke, beide eng mit München verbunden, erlebten 1907/08 entscheidende Schritte auf ihrem künstlerischen Weg – der eine mit seinem Durchbruch als Zeichner, der andere mit der Entwicklung des Ding-Gedichtes. George, der Dichter mit dem absoluten Anspruch auf geistige Führung, formiert ab 1907 seinen esoterischen Kreis mit strengem Regiment. Sieht man genauer in die menschlichen Verhältnisse hinein, steigen hier Mysterienmotive aus karmischen Schächten he-

rauf, freilich verzerrt und unter Missachtung des Wesentlichsten im modernen Bewusstsein – der individuellen Freiheit. Es mag kein Zufall sein, dass der Einschlag des Münchner Kongresses und die Entwicklungen bei den genannten Persönlichkeiten in den gleichen Zeitpunkt fallen. Wo immer man unter die Oberfläche schaut, kann man den Eindruck gewinnen: Es äußern sich tiefste Bestrebungen, aus den mitgebrachten Sehnsuchten der betreffenden Persönlichkeiten mehr oder weniger klar heraufsteigend – Sehnsuchten, die erst durch die Geisteswissenschaft ihr volles Licht erhalten. In diesem Sinne kann ein produktiver Rückblick, wie wir ihn versuchen wollen, auch ein Beitrag sein, der für die betreffenden Schicksale und für die Stadt, in der sie sich abspielen, und deren tiefere Wesenheit nicht ohne Bedeutung bleibt. Ich schließe mit dem Wortlaut aus einem Vortrag von 1907, in dem das Motiv der künstlerischen Verwandlung der Wirklichkeit nochmals machtvoll aufklingt: „Die Theosophie kann man auch bauen: man kann sie bauen in der Architektonik, in der Erziehung und in der sozialen Frage. Das Prinzip des Rosenkreuzertums ist, den Geist in die Welt einzuführen, fruchtbare Arbeit für die Seele zu leisten“ (10).

Anmerkungen/Literatur 1 Heißerer, D. Wo die Geister wandern. Eine Topographie der Schwabinger Bohème um 1900, München 1993, S. 239. Daraus auch die folgenden Zitate. Jedem, der sich genauer mit diesem interessanten kulturgeschichtlichen Thema befassen möchte, sei das ausgezeichnete Buch von Heißerer empfohlen. 2 Ebd. S. 242 3 Zu Rilke s. ebd. S. 257 ff. 4 Zu George s. ebd. S. 143 ff. 5 Ebd. S. 153, 11, 149 6 Rudolf Steiner, Marie Steiner, Briefwechsel und Dokumente, GA 262, Dornach 2002, S. 125 7 Steiner, R. Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongress Pfingsten 1907, GA 284, S. 25 8 GA 284, S. 41 und 65; vgl. auch GA 40, S. 74 9 Einschlägige Ausführungen finden sich in GA 93; eine Zusammenfassung des Inhaltes der Legende ist in GA 93, S. 363ff gegeben. 10 GA 284, S. 72

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 19

Rudolf Steiner und München

Rudolf Steiner und München

... In Berlin und München waren gewissermaßen die zwei entgegengesetzten Pole der anthroposophischen Wirksamkeit zu entfalten … In Berlin konnte ein Zweig der Gesellschaft und eine Zuhörerschaft für die öffentlichen Vorträge nur aus den Kreisen derjenigen Persönlichkeiten entstehen, die auch alles ablehnten, was an Weltanschauungen im Gegensatze zu den traditionellen Bekenntnissen sich gebildet hatte. Denn die Anhänger solcher auf Rationalismus, Intellektualismus usw. begründeten Weltanschauungen fanden in dem, was Anthroposophie zu geben hatte, Phantastik, Aberglaube, usw. Eine Zuhörer- und Mitgliederschaft erstand, welche die Anthroposophie aufnahm, ohne mit Gefühl oder Ideen nach anderem als nach dieser gerichtet zu sein. Was man ihr von anderer Seite gegeben hatte, das befriedigte sie nicht. Dieser Seelenstimmung musste Rechnung getragen werden. Und indem das geschah, vergrößerte sich immer mehr die Mitglieder- wie auch die Zuhörerzahl bei öffentlichen Vorträgen. Es entstand ein anthroposophisches Leben, das gewissermaßen in sich geschlossen war und wenig nach dem blickte, was sonst an Versuchen sich bildete, in die geistige Welt Blicke zu tun … Anders war das in München. Da wirkte in die anthroposophische Arbeit von vornherein das künstlerische Element. Und in dieses ließ sich eine Weltanschauung wie die Anthroposophie in ganz anderer Art aufnehmen als in den Rationalismus und Intellektualismus. Das künstlerische Bild ist spiritueller als der rationalistische Begriff. Es ist auch lebendig und tötet das Geistige in der Seele nicht, wie es der Intellektualismus tut.

Die tonangebenden Persönlichkeiten für die Bildung einer Mitglieder- und Zuhörerschaft waren in München solche, bei denen das künstlerische Empfinden in der angedeuteten Art wirkte. Das brachte nun auch mit sich, dass in Berlin ein einheitlicher Zweig der Gesellschaft von vornherein sich gestaltete. Die Interessen derjenigen, die Anthroposophie suchten, waren gleichartig. In München gestalteten die künstlerischen Empfindungen in einzelnen Kreisen individuelle Bedürfnisse, und ich trug in solchen Kreisen vor. Zu einer Art Mittelpunkt dieser Kreise bildete sich derjenige allmählich aus, der sich um die Gräfin Pauline v. Kalckreuth und Frl. Sophie Stinde, die während des Krieges Verstorbene, gruppierte. Dieser Kreis veranstaltete auch meine öffentlichen Vorträge in München. Das immer tiefer gehende Verständnis dieses Kreises erzeugte in ihm ein schönstes Entgegenkommen für dasjenige, was ich zu sagen hatte. Und so entfaltete sich die Anthroposophie innerhalb dieses Kreises in einer Art, die aus der Sache heraus als eine sehr erfreuliche bezeichnet werden konnte … Ich will mit den Charakteristiken, die ich von Berlin und München als den entgegengesetzten Polen des anthroposophischen Wirkens gebe, nichts über den Wert des einen oder andern Poles sagen; es traten da eben Verschiedenheiten bei Menschen auf, die man im Arbeiten zu berücksichtigen hatte, die in ihrer Art gleichwertig sind – wenigstens hat es keine Bedeutung, sie vom Gesichtspunkte des Wertes aus zu beurteilen. Die Art des Münchner Wirkens führte dazu, dass der Theosophische Kongress, der 1907 von der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft veranstaltet werden sollte, in München stattfand … Hier bricht die Lebensbeschreibung jäh ab. Am 30. März 1925 verschied Rudolf Steiner. Aus: „Mein Lebensgang“ von Rudolf Steiner, GA 28

19

02_Einleitung-2

20

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 20

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 21

Adressen prominenter Persönlichkeiten

21

Wer wohnte wo in München von 1900 bis 1913 1 Wohnung von Kalckreuth und Stinde in der Adalbertstraße 55. Zugleich Arbeitsgruppe München I. Dort wohnte Rudolf Steiner, während er in München weilte und dort sind auch die Mysteriendramen entstanden. Es gab in München noch eine Gruppe II (1a), Leitung Baronin von Gumppenberg, Römerstraße 35 und eine Goethe-Arbeitsgruppe, Leitung Joseph Elkan, Marsstraße 22, nahe Hauptbahnhof (nicht im Plan). 2 Kaimsäle oder Tonhalle, Türken-, Ecke Prinz-Ludwig-Straße 3 Das Café Luitpold. In den Prinzensälen hielt Rudolf Steiner seine ersten Vorträge in München. 4 Der heutige (2008) Sitz der Anthroposophischen Gesellschaft in München, Leopoldstraße 46a. Vor dem Krieg war dort der Goethesaal im Sophie-Stinde-Haus der Anthroposophischen Gesellschaft. 5 Alexander von Bernus, Ainmillerstraße 31 6 Alexeji Jawlensky, Giselastraße 23 7 Wassily Kandinsky, Ainmillerstraße 36 mit Gabriele Münter 8 Paul Klee, Feilitzschstraße 3, später Ainmillerstraße 32 9 Franz Marc, Friedrichstraße 4 10 Gabriele Münter, Hohenzollernstraße 21 11 Franziska von Reventlow, Kaulbachstraße 63 12 Rainer Maria Rilke, Briennerstraße 48 13 Café Größenwahn (Café Stephanie) Amalien-/Ecke Theresienstr. 14 Frank Wedekind, Franz-Joseph-Straße 42 15 Karl Wolfskehl, Leopoldstraße 87, Römerstraße 16 16 Stefan George, Römerstraße 16 17 Alfred Kubin, Mandlstraße 26 18 Ludwig Klages, Leopoldstraße 119 19 Thomas Mann, Franz-Joseph-Straße 2 20 Ricarda Huch, Kaulbachstraße 35 21 Max Obrist, Karl-Theodor-Str. 48 22 Max Reger, Victor-Scheffel-Straße 10 23 Joachim Ringelnatz, Hohenzollernstraße 31a 24 Phalanx-Schule, Hohenzollernstraße 7a 25 An dieser Stelle hätte der Johannesbau stehen sollen. Am 12.1.1913 wurde er endgültig vom Staatsministerium des Innern in München abgelehnt. Schon ab dem 26.3.1913 gab es Pläne für das Erste Goetheanum in Dornach. Das 4. Mysteriendrama wird am 22.8.1913 in München uraufgeführt. Am 20.9.1913 war die Grundsteinlegung des Ersten Goetheanums in Dornach. – Der Erste Weltkrieg begann ein Jahr später, 1914. 26 1908 bis 1920 lebte Albert Steffen in München unter diesen Adressen: Franz-Joseph-Str. 39, Ainmillerstr. 50, Tengstr. 8, Hohenzollernstr. 109, Viktor Scheffel-Str. 5, Kaiserstr. 27, Kaulbachstr. 52, Friedrichstr. 20 27 Lenin lebte von 1901 bis 1905 in der Kaiserstraße 53, später in der Siegfriedstraße 14 28 Adolf Hitler lebte ab 25.5.1913 bis zum Kriegsbeginn 1914 in der Schleißheimer Str. 34, Ecke Gabelsbergerstr. (nicht mehr im Plan).

02_Einleitung-2

22

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 22

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 23

Münchner Kongress 1907 – Programm

23

Das Programm zum Münchner Kongress 1907 in Originalgröße. Auf den nächsten Seiten sind die Innenseiten abgebildet.

02_Einleitung-2

24

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 24

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 25

Münchner Kongress 1907 – Programm

25

02_Einleitung-2

26

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 26

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 27

Münchner Kongress 1907 – Programm

27

02_Einleitung-2

28

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 28

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Planetensiegel und Säulenkapitelle

I

n dem Programmbuche findet man fünf Zeichnungen. Es sind die in Vignettenform umgesetzten Motive der ersten fünf der … erwähnten sieben Säulenkapitäle. Auch in diesen fünf Zeichnungen ist etwas von dem gegeben, was man ‚okkulte Schrift‘ nennt. Wer sich mit ganzer Seele in die Linienformen und Figuren einlebt, dem wird etwas von dem innerlich aufleuchten, was man als die für die Erkenntnis der menschlichen Entwickelung wichtigen Zustände (Saturn-, Sonnen-, Mond-, Marsund Merkurzustand) bezeichnet.“ Rudolf Steiner, aus GA 284, S. 42. Abb. der gemalten Säulenkapitelle aus GA 284. Zeichnungen der Planetensiegel von Karl Lierl, 2006.

Planetensiegel, Saturnzustand Gemaltes Säulenkapitell, Saturnsäule

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 29

Planetensiegel und Säulenkapitelle

Planetensiegel, Sonnenzustand Gemaltes Säulenkapitell, Sonnensäule

Planetensiegel, Mondenzustand Gemaltes Säulenkapitell, Mondensäule

29

02_Einleitung-2

30

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 30

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Planetensiegel, Marszustand Gemaltes Säulenkapitell, Marssäule

Planetensiegel, Merkurzustand Gemaltes Säulenkapitell, Merkursäule

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 31

Planetensiegel und Säulenkapitelle

Planetensiegel, Jupiterzustand Gemaltes Säulenkapitell, Jupitersäule

Planetensiegel, Venuszustand Gemaltes Säulenkapitell, Venussäule

31

02_Einleitung-2

32

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 32

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Annie Besant

Marie von Sivers / Rudolf Steiner

Sophie Stinde

ie Stinde

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 33

Der Münchner Kongress 1907

Freiin Harriet von Vacano

Mathilde Scholl (3. Reihe, halb verdeckt)

33

02_Einleitung-2

34

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 34

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Johann Gottlieb Fichte 19.5.1762 – 29.1.1814

Pauline von Kalckreuth / Sophie Stinde / Rudolf Steiner / Marie von Sivers

Georg Wilhelm Friedrich Hegel 27.8.1770 – 14.11.1831

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 35

Der Münchner Kongress 1907

35

Friedrich Wilhelm Joseph Ritter von Schelling 27.1.1775 – 20.8.1854

Anordnung der Büsten (Bilder oben) vom Zuschauerraum aus gesehen, v.l.n.r: Fichte, Hegel, Schelling

Mathilde Scholl (3. Reihe)

02_Einleitung-2

36

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 36

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Die apokalyptischen Siegel

D

ie sieben Siegel geben die astralischen Urbilder der Menschheitsentwickelung auf der Erde im Sinne der Geisteswissenschaft. Wenn der Seher auf dem Astralplan diese Entwickelung in die Zeiten ferner Vergangenheit und in ferner Zukunft verfolgt, so stellt sich ihm diese in den gegebenen sieben Siegelbildern dar. Er hat nichts zu erfinden, sondern lediglich die von ihm geistig wahrgenommenen Tatsachen zu verstehen.“ Rudolf Steiner, GA 284. Die Siegel hingen an den Wänden des ganz mit roten Tüchern ausgeschlagenen Saales. Auch die Decke war mit roten Tüchern verhüllt. Auf den Bildern der vohergehenden Seiten kann man sie erkennen. Sie waren gegen den Uhrzeigersinn angeordnet. Links das 1. und 2. Siegel, in der Mitte das 3., 4. und 5. Siegel und rechts das 6. und 7. Das 7. Siegel wurde von Rudolf Steiner zum ersten Mal in der Kulturgeschichte ins Bild gebracht. Bis dato gab es dieses Siegel nur als hebräisches Schriftzeichen. Die Siegel wurden malerisch von Frau Clara Rettich nach Skizzen von Rudolf Steiner ausgeführt. Die Unvollkommenheit der künstlerischen Gestaltung der apokalyptischen Siegel durch die Malerin Clara Rettich stieß von Anfang an auf viel Kritik, jedoch war sich Rudolf Steiner dessen selbst voll bewusst. Warum er trotzdem diese Siegelbilder nach dem Münchner Kongress veröffentlichte, wird deutlich aus seiner folgenden Äußerung gegenüber einem Kritiker: „Jenes Gespräch im Münchner Kongresssaale, wo Sie die Siegel unkünstlerisch nannten und ich erwiderte ‚aber richtig‘, haben Sie nämlich missverstanden. Ich war

mit Ihnen ganz einverstanden, und hätte sehr, sehr gerne diese Dinge künstlerisch gehabt. Doch muss der Okkultist realistisch, nicht chimärisch denken und so muss er dasjenige nehmen, was zu haben ist. ‚Aber richtig‘ sagt daher auch alles. Das ist es nämlich, worauf es ankommt, dass gegenwärtig kein Künstler das dem wirklichen Leben nachschaffende Vermögen hat. Und so hat man nur die Wahl: Entweder die formellabstrakte Andeutung inneren Lebens und Gehaltes bei äußerlich unkünstlerischer Formgebung, oder die in sich toten Formen und Schemen, die heute vielfach künstlerisch genannt werden, und die auf den Kenner wirklichen Lebens ungefähr wirken wie Leichname, die Leben vortäuschen sollen.“ (Briefentwurf Rudolf Steiners an Unbekannt vom 12. April 1909, aus GA 284). Die Abbildungen auf den nächsten Seiten sind eine Erstpublikation der von Clara Rettich gemalten Siegel von 1911. (Siehe nebenstehenden Text.) Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung.

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:55 Uhr

Seite 37

Apokalyptische Siegel

Zur Geschichte der Siegelmalerei und reproduktion während Rudolf Steiners Lebenszeit Die Originale und die erste Reproduktion Die sieben Tondi der apokalyptischen Siegel, die Clara Rettich 1907 für die Ausstattung des Münchner Kongresssaales gemalt hat, wurden zunächst für die noch im selben Jahr produzierte erste Auflage von „Okkulte Siegel und Säulen“ fotografiert und dort im Lichtdruck-Verfahren schwarzweiß reproduziert. Die originalen Bilder haben sich nicht erhalten. Diese Version wurde innerhalb der Rudolf Steiner Gesamtausgabe im Anhang zum Band „Die Apokalypse des Johannes“ (GA 104) wieder abgedruckt. Rettichs kleinformatige Repliken ab 1907 Nachdem die Siegel im Druck erschienen waren, begann Clara Rettich ab 1907 damit, auf der Grundlage dieser Reproduktionen kleinformatige Repliken ihrer Siegelmalereien herzustellen, indem sie auf die Reproduktionen farbig aufmalte. Von diesen kleinformatigen Repliken haben sich zwei Serien erhalten, die sich heute im Besitz des Rudolf-Steiner-Archivs in Dornach befinden. Für die Neuauflage von „Okkulte Siegel und Säulen“ im Jahre 1957 wurde statt der Schwarzweißabbildungen der Erstauflage eine dieser beiden Serien zur Reproduktion ausgewählt (GA 284, Taf. VII bis XIV). Die andere Serie wurde anlässlich des 2007 zu Ausstellungszwecken gefertigten Modells des Münchner Kongressaales von der Kunstsammlung am Goetheanum in größerem Format (Maßstab 1:2) reproduziert. Sie unterscheidet sich von der Serie, die für die

Neuauflage von „Okkulte Siegel und Säulen“ verwendet wurde, durch einen stellenweise größeren Detailreichtum, während die in GA 284 publizierte Version eine freiere Pinselführung aufweist. Diese zweite, bislang unpublizierte Version wird in dem vorliegenden Band mit freundlicher Genehmigung der Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung abgebildet. Neue Siegel für den Stuttgarter Bau Für die Ausstattung des Stuttgarter Zweighauses in der Landhausstr. 70 stellte Clara Rettich 1911 zwei weitere Serien im Format von etwa 70 cm Durchmesser her. Diese zwei mal sieben Tondi sind erhalten und befinden sich ebenfalls im Besitz des Rudolf-Steiner-Archivs. Von diesen Arbeiten wählte man für die Neuauflage von „Okkulte Siegel und Säulen“ sieben Stücke zur Reproduktion aus (GA 284, Taf. VIIa bis XIVa). Arild Rosenkrantz’ Version von 1924 Auf Anfrage von Harry Collison schuf Arild Rosenkrantz, der im Goetheanumbau von Rudolf Steiner mit der Ausführung des Mittelmotivs der Ostkuppel betraut worden war und seit 1922 wieder in Arlesheim wohnte, für die 1924 in London erschienene englische Ausgabe von „Okkulte Siegel und Säulen“ („Occult Seals and Columns“), eine für den Schwarzweißdruck gestaltete Serie. Bei dieser Arbeit besuchte ihn Rudolf Steiner des öfteren in seinem Atelier und besprach mit ihm die Ausführung. Roland Halfen Rudolf-Steiner-Archiv, Dornach

37

02_Einleitung-2

38

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 38

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Das erste Siegel: „Ganz abgesehen davon, dass Sie bei der Berührung des astralischen Leibes mit dem ätherischen Leibe hellseherische Kraft entwickeln können, würde noch etwas anderes auftreten. Der Mensch wird sich bewusst der seelischen Eigenheiten, der seelisch-menschlichen Eigenschaften der astralischen Welt und der devachanischen Welt, aus der er eigentlich herausgeboren ist seiner Seele nach. Und es tritt zu diesem Bilde ein noch höheres Symbolum, das die ganze Welt zu erfüllen scheint. Zu diesem Symbolum der alten Einweihung tritt für den, der durch die Johannes-Ein weihungsstufen geht, etwas hinzu, was am besten durch das erste Siegel dargestellt wird. Als eine hellseherische Erscheinung sieht er den Priesterkönig mit goldenem Gürtel, mit Füßen, die aus Metallguss zu bestehen scheinen, das Haupt bedeckt mit Haaren wie von weißer Wolle, aus dem Munde ein feuriges Schwert flammend und in der Hand die sieben Weltensterne: Saturn, Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus“ (GA104, S.63f).

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 39

Apokalyptische Siegel

Das zweite Siegel: „Der Mensch war noch nicht dicht physisch da, als das Tier schon im Fleisch vorhanden war. Er war eine feine Luftwesenheit, selbst in den lemurischen Zeiten noch. Und er hat sich so herausgegliedert, dass sich das hellseherische Bild darstellt mit den vier Gruppenseelen: Auf der einen Seite wie ein Löwenbild, auf der anderen wie das Bild eines Stieres, oben wie das eines Adlers, und in der Mitte unten etwas, was schon menschenähnlich ist. So kommt aus dem Dunkel des Geisterlandes heraus der Mensch. Und das, was ihn an Kraft ausgebildet hat, das erscheint in einer Art Regenbogenbildung. Die mehr physischen Kräfte umgeben die ganze Bildung dieses Menschen wie ein Regenbogen. Und das, wovon er umgeben ist, das symbolisierte man in alten Zeiten mit dem Tierkreis, in den 12 Zeichen des Tierkreises (GA 104, S. 59).

39

02_Einleitung-2

40

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 40

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Das dritte Siegel: „Dieses Siegel stellt die Geheimnisse der sogenannten Sphärenharmonie dar.“ (GA 284, S. 93) „Der Mensch erlebt diese Geheimnisse in der Zwischenzeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Doch ist die Darstellung nicht so gegeben, wie sie im Devachan selbst erlebt wird, sondern so, wie die Vorgänge dieses Gebiets sich in die astrale Welt gleichsam hereinspiegeln. Es muss überhaupt festgehalten werden, dass die sämtlichen siebeb Siegel Erfahrungen der astralischen Welt sind. Die posaunenblasenden Engel des Bildes stellen die geistigen Urwesen der Welterscheinungen dar; das Buch mit den sieben Siegeln deutet darauf hin, dass sich in den Erlebnissen, die in diesem Bilde veranschaulicht sind, die Rätsel des Daseins «entsiegeln». Die vier apokalyptischen Reiter stellen die menschlichen Entwickelungsstufen durch lange Erdenzyklen hindurch dar“ (GA 34, S. 598).

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 41

Apokalyptische Siegel

Das vierte Siegel: „Weisheit und Stärke ist es, was die Erde als Erbschaft von früheren Entwickelungsstufen, vom alten Mond und der alten Sonne übernommen hat. Das kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass wir die erste Hälfte der Erdentwickelung nach dem Vertreter der Sonnenkraft, dem Mars, benennen. Wir sehen im Mars den Bringer von Stärke. Und indem, was die zweite Hälfte der Erdentwickelung beherrscht, haben wir den Stellvertreter der alten Mondenentwickelung, den Merkur, welcher der Erde die alte Erbschaft des Mondes, die Weisheit einverleibt. So setzt sich uns die Erdentwickelungzusammen aus Mars- und Merkurentwickelung. Die Erde selber, soll hinzubringen die Liebe durch ihre Mission. Diese Liebe soll sich herrlich offenbaren. In der ältesten atlantischen Zeit war der Mensch noch für das Wasser gebaut. In der Mitte der Atlantis erst ist er so weit, dass er sich dem Wasser entreisst und den festen Boden betritt. Bis zu der Zeit, wo die Erde in der Mitte ihrer Entwi-

ckelung war, müssen wir das Wasser ebenso als den Träger der menschlichen Entwickelung auffassen wie später die feste Erde … Das gliedert sich so recht zusammen in die Vorstellung, dass der Mensch gestützt wird in seiner ganzen Erdenmission durch zwei Säulen. Und über ihnen symbolisiert sich dasjenige, was durch die Erde selber erreicht werden soll: Die Liebe, die sich darlebt, herrlich sich offenbarend, die gestützt wird durch diese Erbschaften“ (GA 104, S. 169f).

41

02_Einleitung-2

42

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 42

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Das fünfte Siegel: „Der Mensch wird in der vergeistigten Erde drinnen leben und zu gleicher Zeit verbunden sein mit der Kraft der Sonne, und er wird der Überwinder des Mondes sein. Das wird, indem es geschaut wird, dargestellt durch diese symbolische Figur: Das Weib, das die Sonne in sich trägt und den Mond zu ihren Füßen hat“ (GA 104, S. 186). „Aber dasjenige, was im Fleische geblieben ist, wird auf der Nebenerde dargestellt durch das Tier mit den sieben Köpfen. Es erscheinen wiederum die Tierköpfe, die einstmals da waren. Alles dasjenige, was im Menschen veranlagt wird durch den ätherischen Leib, das nennt man in der Mysteriensprache einen Kopf. Dasjenige aber, was physisch im Menschen bewirkt wird durch irgend ein Glied des Ätherleibes, das nennt man ein Horn“ (GA 104, S. 188).

„Wir werden sehen, dass diejenigen Wesenheiten, welche sich diese sieben Köpfe bewahrt haben, weil sie stehen geblieben sind in der Entwickelung, dass die in der Tat im Abgrund einen physischen Leib angenommen haben, der aus zehn verhärteten physischen Leibesgliedern besteht“ (GA 104, S. 190).

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 43

Apokalyptische Siegel

Das sechste Siegel: „Das wird dargestellt durch das dem Seher erscheinende Bild von Michael, der den Schlüssel zum Abgrund und die Kette in seiner Hand hat, der bei Gott steht und die entgegengesetzten Kräfte gefesselt hält.“ (GA 104, S. 232f) „Es könnte die Frage auftauchen: Hätte es sich nicht für eine weise Vorsehung besser geziemt, von vornherein dieses furchtbare Schicksal (des Abgrundes) abzuwenden? Wäre es unmöglich, dass der Mensch in die Abgründe des Bösen hineinsegelt, dann wäre auch das für den Menschen nicht erreichbar, was wir auf der einen Seite Liebe und auf der anderen Seite Freiheit nennen, denn für den Okkultisten ist die Freiheit untrennbar verknüpft mit dem Begriff der Liebe. Ein Mensch, der nicht die Möglichkeit hätte aus eigenem freien Entschluss das Gute oder auch das Böse zu wählen, der wäre ein Wesen, das nur am Gängelband zu einem notwendig zu errei-

chenden Guten geführt würde“ (GA 104, S. 234f). „Eine fast unabänderliche Anlage für den Abgrund hat nur derjenige, der heute schon irgendwie verstrickt wird in die Fangarme des zweihörnigen Tieres, des großen Verführers zu den Künsten der schwarzen Magie. Und selbst für solche Menschen, die heute auf die Künste der schwarzen Magie hereinfallen, gibt es in der Zukunft noch einmal eine Möglichkeit, umzukehren“ (GA 104, S. 236).

43

02_Einleitung-2

44

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 44

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Das siebte apokalyptische Siegel: „Auf dem letzten Siegel sieht man, wie dem Apokalyptiker hellseherisch die Regelmäßigkeit des Neuen Jerusalem sich ausdrückt“ (GA 104, S. 251). „Dieses Siegel ist das von dem Mysterium des Gral, wie es in der vom 14. Jahrhundert beginnenden esoterischen Strömung heimisch war. Es findet sich auf dem Bild ein Würfel, die Raumeswelt darstellend, daraus von allen Seiten des Würfels entspringend die Weltenschlange, insofern sie die im niederen sich auslebenden höheren Kräfte darstellt; aus dem Munde der Schlange die Weltenlinie als Spirale – das Sinnbild der gereinigten Kräfte; und daraus entspringend, der „heilige Gral“, dem die „Taube“ gegenübersteht: Dies alles hinweisend – und zwar ganz sachgemäß – auf das Geheimnis der Weltzeugung, von der die irdische ein niederer Abglanz ist“ (GA 34, S. 599).

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 45

Der Münchner Kongress 1907 – Teilnehmer

Münchner Kongress 1907, Teilnehmer Berlin Dr. Steiner / Frl. Marie von Sivers Mia Holm Baronin Cl. von Lichtenberg Camilla Wandrey Baronin Nelly von Lichtenberg Schauspieler [Walter] Vegelahn Clara Motzkus Charlottenburg Johanna Mücke Elisabeth von Wartenberg Gustav Kull J.E.L. Peelen [Jan Hendrik / Joh. Elis. Charl.?] Franziska Johannesohn E[mma]. Blieffert zzt. Berlin Henni Geck Günther Wagner Pension Sulzer, Berlin Frl L[ouise]. Boese Frau Prof [Martha] Erdmann Baronin E[lsbeth]. Uexküll Frl Adelgunde Dunkhase Frl. K[atharina]. Schallert Clara Lüddeke Anna Werner Paul Werner Frau [Anna] Angelkovich Helene Lehmann Clara [Walther-]Selling Herr W[ilhelm]. Korth Frau [Paula] Korth[-Obst?] Wilhelm Selling Adelheid Voigt Friedrich Kiem Herr [Hermann] Rabe Herr [Wilhelm] Tessmar Frau [Eugenie] von Bredow Gräfin [Marie] Schwerin Herr [Johannes Gottfried William] Schröder Gräfin Olga Schack Frau Hofmann [Odenkofen] [Franz] Seiler Mrs [Elisabeth] Douglas Shields Käthe [Hafliger-?] Kappes Paula Werner [?] Dr. [Carl oder Friedrich] Schwendt München Carola Mayne geb. Gräfin Morawitzky, Pasing

Ludwig Deinhard Herr [Ing. Heinrich] Hiernickel [Frau] Hofrath T.[herese] Walter Frau von Rumpler Otto Huschke Hilde Huschke Ernst Kramer Graf Friedrich von Bothmer Baron Ferdinand [von] Paungarten Herr Rieper Frau Rieper Sophie Bührer Frau Professor [Babette] Hofmann Freifrau von Platen Herr [Heinrich] Neher Herr [Oskar] Höhl Lydia Seesemann Clara Michels Herr [Fritz] Hass Baronin [Emmy] von Gumppenberg Baroness Marika von Gumppenberg Herr Baurat [Julius] Haase Karl Stahl Frl. B. Wachsmann Karl Hossfeld Frau Ehemann Frau von Vacano Baronin Antoinette von Gayling Heinrich Steinitzer Frau [Magdalene] Koch Loge II Frau Apotheker [Juliane] Winkler Frau Gräfin Sophie Bothmer Herr [Karl] Stubenrauch Frl. [Rosa] von Hofstetten Herr [Josef] Elkan Frau [Elise] Elkan Herr [Carl] Kuhn Frau [Anna] Kuhn Baronin [Gabriele] Schrenck-Notzing Herr [Philipp] Gundel Dr. Ernst Wagner Elsbeth [Wagner-]Lehmann Herr [Josef] Rheude Herr [Hans] Schellbach Herr [Friedrich] Lengenfelder Frl. Lita Schmidt Frau [Gertrude] von Tschirsky [Tschierschky] Baronin von Gemmingen

[Stuttgart?] Frau [Maria] Knopf Herr [Hermann] Linde Frau [Marie] Linde Gräfin Amelie Fugger Frau [Magdalena] von Spaun Graf [Otto] Lerchenfeld Frl. Zanziger H. Marc Kricheldorf Baronin [Elisabeth] von Scheve [von Scheve?] Herr [Albert] Hammel Herr [Julius] Bittmann Frau [Elise] Bittmann Frl. [Martha] Steinbart Herr [Hans] von Alten [Freiburg] Frl. [Sophie] Stinde Gräfin [Pauline] Kalckreuth Stuttgart Kieser Stuttgart Kerning Loge für: Fräulein Paula Kieser Fräulein Martha Kieser Frau [Maria] Aldinger Herr Barth [?] Herr [Hermann] Beck Herr [Adolf] Aldinger Fräulein [Toni] Völker Herr [Gustav] Otto Herr [Wilhelm] Bolz Prof. Dr. [Carl oder Friedrich] Schwend Architekt [Paul] Zeller Frau zur Hellen Frl. [Marie] Weissmann Herrn E. Kieser [?] Frau [Karoline / Lina] Eschmann Herr [Jakob] Eschmann Frl. [Luise] Duttenhöfer Alice Kinkel Herr [Wilhelm] Kinkel 75 x Zweig I Arenson Cannstadt Ludwigstr. 17: Hans Weisshaar Victorine Hallisch [?] Carl Unger Eugen Benkendörfer Jose del Monte Eugen Schmid Fanny Schneider Frau Alice von Sonklar Wilhelm Schrack Elise Schrack Wilhelm Jäck Adolf Arenson Frl. Gustel [Unger-] Arenson Frl. Clarita [Benkendörfer-] Arenson

45

Clara Rettich Heinrich Mayer Wilhelm Werntgen Hamburg Victoria Paulsen für: Lilly Koerner Amalie Wagner Adolf Kolbe Johanna Kolbe John Brey Jenny [sic] Brey Ida Müttel Jenny Meyer Bertha Lohnbach [?] Kurt Walther G. F. Scharlan Otto Westphal A.W.Sellin Julius [Rudolf] Krause Hittfeld, Harburg Julius Lange Herr Hubo Frau M. Bachmann Nürnberg Baron Klenk 14 x für Albrecht Dürer Zweig: Michael Bauer Theodor Binder August Hulbe Georg Klenk Andreas Körner Wilhelm Krieger [erschoss am 4.1.1924 Carl Unger] Paul Reiss Frieda Bauriedel Anna Krieger [Frau von Wilhelm Krieger] Eduard Bachmann für Dürerzweig Arthur Hanes Sophie Ifftner Marie Klenk G. Klenk Käthchen Spiess Minna Rissmann Ida Körner Paul Bauriedel Köln Gertrud Noss Jenny Hippenmayer Frl. [Amalie] SchulteHiltrop Richard Jürgas Mathilde Scholl Johanna Lüdemann Amelie [Künstler-] Biesenbaum Eugen Künstler Maud Künstler J. Peelen Oberlahnstein /

02_Einleitung-2

46

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 46

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Agnes Friedländer Frl. Eckert Frau [Käthe] Mitscher Karlsruhe Alf[red] Reebstein Adolf Schmitt Herr H.[ugo] Harder Karl Stockmeyer jr. Johanna Stockmeyer, Malsch Hilde Stockmeyer, Malsch Fritz Spies Frankfurt 5x theosoph. Loge Franz Nab [?] Jakob Schwinn Anna Deutschinger Bertha Nab Frau Gerlinger Herr Gerlinger Oscar Hintze [Frau Margaret HintzeBlackmore] Kassel Anna Limberger [?] Frau [Ida] Baurat Knoch Anna Schuster Herr Dr. [Ludwig] Noll Fräulein F[rida]. Noll Ludwig Kleeberg C.[arl] Schultz Cassel Hannover Frau Gräfin Ella Moltke Paula Stryczek Döhren bei

Hannover [1908 adoptiert v. Hübbe-Schleiden] [Adriana] M[argarethe]. Kool [-Piersen] Herr W. Eggers [sen.] Martha Witte Leipzig Dr. Hugo Vollrath Clara [Vollrath-] Ortlepp Carl Geissler Weimar Elisabeth Winkler Miss Conder Weimar [?] Horst von Henning Emden G.[eorg] O.[lsen] Mustert Telegraphen Sekretär Emden D.[r. David] A.[braham] Kool Emden Frl. Kool Emden [?] Bremen Gustav Wöbcken Bremen Clara Wöbcken Schwester [Luise] Hesselmann Bremen Düsseldorf Franz Tabuschat Cecile Peipers Felix Peipers Elberfeld C.[arl] Müller Felix von Damnitz Frau [Luise] von Damnitz

Johanna Damnitz [?] Sonstige Deutsche mit Herkunftsangabe Frau [Magda] Hamann geb. Diecken, Norderney Ella Büsche, Schwelm Antonie Link Ehrenbreitstein, Bonn Anna Bauer, Bonn Clara Smits, Oberkassel

F[riedrich]. Schwab, Heidelberg Karl Liedvogel, Heidelberg Albert Sippel, Lorch Karl Hamm, Esslingen Karl Kälber, Esslingen Herr Oberamtssekretär K.[onrad / Karl / Carl] Eppler, Trossingen Herr [Jacob] Feldner,

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 47

Der Münchner Kongress 1907 – Teilnehmer

47

Links: Großer Festsaal der Tonhalle/Kaimsaal Darunter: Grundriss des 1. Stocks der Tonhalle. Rechts: Kaimsaal oder Tonhalle in der TürkenEcke Prinz-LudwigStraße in München. Das Haus wurde im Krieg völlig zerstört und nicht wieder aufgebaut. Darunter: Der Weiße Saal, im Plan mit „Foyer“ bezeichnet.

Regensburg Frau [Antonie] Feldner, Regensburg Ida Biltz, Dresden Schweiz/Basel Herr Fischer [?] Herr [Rudolf] Geering Frau [Elisabeth] Geering E. Grosheintz für Frau [Nelly] Grosheintz Oscar Grosheintz Rudolf Hahn Frau [Marie] Hahn Herr G[ottlieb]. Hiltbold l Herr S[iegfried]. Hofstetter Frl. [Pauline] Hutter [St. Gallen?] Dr. J.[an] Lagutt [-von Ostheim] Frau [Anna] Lagutt Herr [Hugo] Schuster

Herr Ed.[uard] Suter Herr [Carl] Zürcher Sonstige Schweiz Ernst Heim, Bern Frau A.[nna] Haefliger, Bern Margarethe [Boltz-] Haefliger, Bern Frau [Suzanna Marie] Hirter Bern Ita Wegman, Zürich Martha Müller, Zürich [?] [Prof.] Dr. A. Gysi, Zürich Frau Consul Franken Herr Consul Franken Prof Boltz (?) Otto Rietmann Fotograf, Sankt Gallen Lina Rietmann Frl M.[ary] Falconer E.[lizabeth] Falconer J.[osef] Epper-Furrer

Joh.[ann] Sonderegger Willy Conrad, Neuchatel England Miss [Alice Mary], Bristow Mrs. [Caroline Mary] Harding, zzt. München Mrs Piccerdale Mrs Sharpe, England [?] Max Gysi [?] Clifford Bose Mr Wedgewood, England [?] Miss Spink, England [?] Mr [Ernst?] Leo Mrs [Luitgard?] Leo Mr Wiltrims, England [?] Mrs Wiltrims, England [?] Mrs Severo [Severs?], England [?] Mr Wallace, England [?] Mr Bottwell [Rottwell?], England [?] Mrs Bottwell [Rottwell?], England [?] Mrs Dextis, England [?] Mr Dextis, England [?] Mrs Arundale, England [?] Mr Wyndham Harding, GB [? Miss Mallet, England [?] Mr(s) Mallet, England [?] Mrs Frye, England [?] Mrs Lauder [Lander?], England [?] Miss Arundale, England (2x) [?] Esther Bright Escher, GB [?]

Mrs Bright [?] Mrs Besant [?] Herr Bedner, London [?] Frankreich Mms Montagu, Paris Charles Bloch, Paris 3x [?] Carl Petz Professeur de musique, Paris Mme Kochmansky, Paris [?] Mme Machean Gambien, Frankreich [?] Mlle Bayer, Nizza [?] Mlle Bayer, Nizza [?] Mlle Boll, Monaco [?] Mad Triponel, Paris [?] M. Jo Palmare, Monaco [?] Mme Mallet, Paris [?] Madame Mansbendel, Mühlhausen Auguste Frey, Mülhausen [?] Mme Porohofehikof, Marseille Mme M.[arguerite] Payen, Guebwiller Frau von Lüdtwitz, Strassburg [?] Italien Frau A[lida?]. von Ulrich, Turin für: Emil Maggiore [?] Frau G. Baggiani, Lago Maggiore Gräfin Brockdorff für Gräfin Hedda Brockdorff in Meran

02_Einleitung-2

48

07.08.2008

15:56 Uhr

Seite 48

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Karl Klugkist, Rom (Mrs Cooper Oakley), Italien Mr. Kirby, Genua Mrs. Kirby, Genua Herr Prof. [Oscar] Bolz, Lugano (durchgestrichen) Fuchs, Lugano [?] Prof Penzig, Genua [?] Signor Pilla, Italien [?] Ungarn 5 weitere Namen in Bleistift, bezog. auf 5 x Nagy? Herr Nagy Geologe, Budapest [?] Agoston Gyula [?] Nerey Ödon [?] Joseph Pinkert [?] Hermann Windisch [?] Gaston Polak Kolosvar, Ungarn [?] Österreich, Polen, Bulgarien Herr Sauerwein, Wien [?] [Ottilie] Hanauskova, Prag [Jan] Bedrnicek [-Chlumsky] M. Nikoff, Sofia [?] Skandinavien Mrs Fels, Neu Sealand, Finnland [?] Fr. Ebba Tillquist, -Stockholm [?] Evelyn Neckelmann, Kopenhagen Arvid Knös, Schweden [?] C.J. Lind, Kopenhagen [?] Frau Ellen Östberg, Schweden [?] Frank Heyman, Schweden[?] Russland Frl. [Nina von] Gernet Adriadne Weltz, Russland [?] Elis Radjewitsch, Russland [?] Mme Pschenetzky, Russland, Paris [?] Frau [Olga von] Forsch [Frau] Exzellenz [Natalie] von Minsloff [Mintzloff], Moskau Frl. [Anna] von Mintzloff Frl. [Maria] Sperling Olga von Sivers Frau [Helene? Natalie? ] Pisarieff Amerika Renda, Amerika [?] Russach (?), Amerika [?] Miss Asspel, Amerika [?] Mrs Helen Hecker Herr Dr. von Hooth [Hook?], Chicago [?] Frau von Brandis

Holland „8 Namen nicht notiert (Holländer und Holländer)“ 50 Interimskarten nach Amsterdam [an Mr. A. J. Cnoop Koopmann] Cnoop Koopman Herr Hop, Holland [?] 19 holländische Mitgliederkarten gezahlt durch Herrn Knoops Koopmans Ohne Wohnortangabe Albertine von Martens Herr [Johann] Rüppel Frau [Catharina] Rüppel Pastor emeritus Heinrich Wendt [Weimar] W[illy]. Vollrath Heingarten Margarete Vollrath Dr. van Scharpenberg [?], Schlör [?] Herr Kämpf [?] [Frl. Nasta?] Fritsch Herr Kumpf (durchgestr.) [Karl] Jantsch (durchgestr.) [Anton] Nussbaum [sen.] Dr. Ernst Boldt Frau F[lorence?]. E. Franke Eugen Endler Frl Else Wagner Frau [Elise] Wolfram Herr Kunstmaler [Hans] Volkert Frl. [Alice] Sprengel

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 49

Der Münchner Kongress 1907 – Teilnehmer

Annie Besant

Marie von Sivers

Rudolf Steiner

49

02_Einleitung-2

50

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 50

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Florian Roder

Sophie Stinde

Sophie Stinde, Malerin, geb. am 21.9.1853 in Lehnsahn/Holstein, gest. am 17.11.1915 in München.

S

ophie Stinde ermöglichte die „Mysteriendramen“ Rudolf Steiners. Sie schuf die Grundlagen für den Johannes-Bau in München und dessen Fortführung mit dem Ersten Goetheanum in Dornach. Sie war die Repräsentantin der anthroposophischen Arbeit in München – die „Seele unseres ganzen Wirkens“ (GA 261, S. 151). Sophie Stinde wuchs in einer von herzlicher Atmosphäre geprägten Pastorenfamilie im Ostholsteinischen auf. Ihr Halbbruder aus erster Ehe des Vaters, der bekannte satirische Schriftsteller Julius Stinde (1841–1905), fi-

nanzierte ihr eine Ausbildung zur Malerin, zunächst ab 1889 in Karlsruhe, dann in München bei P. P. Müller. Reisen durch Deutschland, Frankreich und England vervollständigten den Bildungsweg. Während der 90er- Jahre des 19. Jahrhunderts war sie mit Landschaftsthemen in der Kunstöffentlichkeit präsent, was sich etwa in dem Gewinn der Goldmedaille bei einer Ausstellung in Brisbane niederschlug. Wie sie zu geistigen Fragestellungen kam, ist unbekannt. Jedenfalls war sie schon 1902 zusammen mit Pauline Kalckreuth Leiterin des Münchner Hauptzweiges der Theosophischen Gesellschaft. Als solche begegnete sie Rudolf Steiner 1904 in München. Sie wurde dessen esoterische Schülerin und Leiterin der esoterischen Arbeit in München (Esoterische Schule [ES] und freimaurerischer Erkenntniskultus [FM]). 1904 –13 war sie im Vorstand der Deutschen Sektion tätig. 1906 richtete sie ein öffentliches Lesezimmer ein; 1907 gründete sie einen Kunst- und Musiksaal für Arbeiter. Im selben Jahr bereitete sie, zusammen mit ihrer engsten Weg- und Lebensgenossin, Pauline von Kalckreuth, den Münchner Kongress vor. Maßgeblichen Anteil hatte sie am Zustandekommen der Münchner Festspiele 1907–13 und damit an den Uraufführungen der vier Mysteriendramen Rudolf Steiners (1910–13). Aus dieser Arbeit erwuchs der Wunsch nach einem künstlerisch

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 51

Sophie Stinde

angemessenen Bau, wobei sie als Schöpferin des Baugedankens betrachtet werden kann. In der Folge wurde Sophie Stinde erste Vorsitzende des Johannes-Bauvereins (1911–15). Als das Vorhaben in München scheiterte, zog sie mit Gräfin Kalckreuth nach Dornach um. An der Grundsteinlegung des Goetheanums am 20. September 1913 – einen Tag vor ihrem 60. Geburtstag – nahm sie teil. Sie gehörte zu den 13 Persönlichkeiten, welche die Grundsteinurkunde unterzeichneten. Die übergroße Anstrengung, der sie sich im Zusammenhang mit der Bautätigkeit unterzog, führte zur Schwächung ihrer Gesundheit. An einer Lungenentzündung erkrankt, verstarb sie am 17. November 1915. Rudolf Steiner hielt die Ansprache zu ihrer Kremation in Ulm. Das Leben von Sophie Stinde gliedert sich deutlich in zwei Teile – die Zeit vor der Begegnung mit Rudolf Steiner und die Zeit danach. Ungewöhnlich ist, dass die Vorbereitungszeit über 50 Jahre dauerte, während für die wesentlichen Aufgaben der zweiten Periode gerade elf Jahre zur Verfügung standen. Dennoch lässt sich die Anlage des Späteren in der ersten Zeit deutlich erkennen: Es ist die malerisch-künstlerische Durchbildung. Dieses persönliche Können wird umgeschmolzen zu einem allgemein-künstlerischen Impuls, der sich mit vorbehaltlosem Willen in den Dienst der Anthroposophie stellt. Sophie Stinde wird damit zur Verkörperung jener besonderen Note, die durch die eigentümliche Atmosphäre Münchens möglich erscheint. Während Berlin das wissenschaftliche Interesse im Vordergrund stand, war hier ein künstlerisches Element von Anfang an maßgeblich: „Und in dieses ließ sich eine Weltanschauung wie die Anthroposophie in ganz anderer Art aufnehmen als in den Rationalismus und Intellektualismus. Das künstlerische Bild ist spiritueller als der rationalistische Begriff“ (GA 28, S. 461). Ihr Lebensmotiv ergriff Sophie Stinde zweifellos mit den Mysteriendramen und dem Baugedanken. Oder genauer: In der

Zusammenführung des Poetisch-Innerlichen der Dramen mit dem architektonisch-plastisch-malerischen Außengebilde des Baues zu dem Gesamtkunstwerk „Goetheanum“. Dabei stellte sie sich ganz auf die Seite des organisatorischen Unterbaues und der menschlich-sozialen Belange. Sie war es, die an Rudolf Steiner die entscheidende Frage richtete. Und sie gab – sachlich und unspektakulär – für diese Aufgabe ihre eigene Lebenssubstanz hin. Die Persönlichkeit von Sophie Stinde bleibt in vielem ein Rätsel. Intimere Aufzeichnungen oder Zeugnisse fehlen. Über ihre innere Entwicklung ist so gut wie nichts bekannt. Wie hinter einem Schleier scheint sie ihr Seelenleben verborgen gehalten zu haben. Dennoch kann man ihres Wesens wenigstens umrisshaft ansichtig werden – in der Wirkung auf seine Umgebung. Da sind vor allem die Ansprachen Rudolf Steiners nach ihrem Tod zu nennen, durch die bloße Anzahl aufhorchen lassend. Dann die Erinnerungen Ludwig Kleebergs, den sie persönlich und finanziell unterstützte und der mit ihr im Briefwechsel stand. Schließlich die feinen Beobachtungen Andrej Belyjs und die hohe Wertschätzung, die Marie Steiner ihrem Einsatz im erinnernden Rückblick zollt. Sophie Stinde war, anders als die hochragende Kalckreuth, von mittelgroßer Statur. Sie besaß eine klare Stimme mit deutlicher Aussprache, gewohnt, Anweisungen zu erteilen. Die unbedingte Strenge, die sie in der Durchführung der Pflichten an den Tag legte, wurde gemildert durch herzliche Güte und einen kräftigen Humor. Belyj spricht gar von dem „samtenen, taubengleichen Blick“ ihrer Augen (Belyj, 1977, S. 410). Überhaupt wird der Gegensatz zwischen Herbheit und Milde in ihrem Wesen häufig hervorgehoben: „Eine männliche Natur“, „mit Seelenzartheit verbunden“, hat Margarita Woloschin, selbst Malerin, an ihr beobachtet (Woloschin, S. 75). Ähnliches empfand Marie Steiner, auf eine starke „moralische Kraft“ weisend, die von ihr ausgegangen sei (M. Steiner, 1945, S.

51

02_Einleitung-2

52

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 52

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

193). Ein „sonnenhaft Kraftvolles“ erschien Rudolf Steiner als Grundzug ihres Wesens vor dem geistigen Blick. Drei Hauptlinien nahm er wahr, die von diesem sonnenhaften Mittelpunkt ausstrahlten: unbestechlichen Wahrheitssinn im Gedanklichen – sehendes Vertrauen im Gefühlsleben, wurzelnd in der Treue zum Geist – selbstloses Willensfeuer, sich auslebend bis in die Kleinigkeiten alltäglicher Pflichterfüllung (s. GA 261, S. 152, 154, 158, 174f). Belyi verglich sein Verhältnis zu ihr mit dem zu einem östlichen Starez. Sie sei der „Typ der heiligen christlichen Dienerin Gottes“ (Belyj, 1992, S. 305). Vielleicht am intimsten erspürt man den christlichen Sonnengrund ihres Wesens aus einer brieflichen Äußerung an Ludwig Kleeberg von 1905: „Sehen Sie, lieber Freund, wem so von allen Seiten Liebe zuströmt wie Ihnen jetzt, von dem wird später auch einmal geistige Hilfe erwartet, und gerade dieses Zuströmen ist mir ein guter Grund anzunehmen, dass Sie anderen in ähnlicher Weise helfen werden und schon helfen. Wir alle müssen unser Leben über vor allen Dingen aber lernen, Liebe auszuströmen. Lassen Sie niemanden an Ihnen Der Goethe-Saal im Sophie-Stinde-Haus. (Zeitungsausschnitt). 1931 verlegte der bekannte Volksschauspieler Karl Valentin für kurze Zeit seine Aufführungen dorthin. Das Haus wurde im Krieg am 12.7.1944 durch einen Fliegerangriff völlig zerstört.

vorübergehen, dem Sie nicht einen Liebesstrom nachsendeten. Dadurch wird Ihre Liebefähigkeit und Ihre Vertiefung in die Mitmenschen groß werden, dass Sie Wunder dadurch erzielen werden.“ (Kleeberg, 1955, S. 450). Werke: 1 Aufsatz in Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit. Literatur: Das geistige Deutschland am Ende des XIX. Jahrhunderts, Bd. 1, Leipzig 1898; Steiner, M. In memoriam Sophie Stinde, in: Was in der Anthropos. Ges. vorgeht 1943, Nr. 47; dies. Zum dreißigsten Todestage von Sophie Stinde; Strakosch, A. Zum 30. Todestag von Sophie Stinde, in Was in der Anthro. Ges. vorgeht 1945, Nr. 46; Steiner, R. Treue–Wahrheitssinn–Richtungsfestigkeit. Zum 30. Todestag von Sophie Stinde, Dornach 1945; Kleeberg, L. Sophie Stinde. Zur 40. Wiederkehr ihres Todestages, in: Blätter für Anthroposophie 1955, Nr. 11, 12; Pollmann K. Rudolf Steiner in München, München 1961; Treichler, R. d. Ä. Wege und Umwege zu Rudolf Steiner, Stuttgart 1974; Belyi, A. Verwandeln des Lebens, Basel 1977; Woloschin, M. Aus Tagebuchaufzeichnungen, in: Beltle, E., Vierl, K. (Hg) Erinnerungen an Rudolf Steiner, Stuttgart 1979; GA 261, 1984; GA 265, 1987; Kleeberg, L. Wege und Worte. Erinnerungen an Rudolf Steiner aus Tagebüchern und aus Briefen, Stuttgart 1990; Reitmeier, L.J. Dachau – der berühmte Malerort. Kunst und Zeugnis aus 1200 Jahren Geschichte, Dachau 1990; Goerdten, U. Familienbriefe aus Ostholstein, Aus dem Nachlass von Julius Stinde, Bargfeld 1991; Belyi, A. Geheime Aufzeichnungen, Dornach 1992; GA 284, 1993; Strakosch, A. Lebenswege mit Rudolf Steiner, Dornach 1994; GA 28, Edition Rudolf Steiner, Dornach 1995; GA 268, 1999, Goerdten, U. Bibliographie Julius Stinde, Bielefeld 2001.

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 53

Gräfin Pauline von Kalckreuth

53

Karl Lierl

Gräfin Pauline von Kalckreuth

P

auline von Kalckreuth war eine der wichtigsten Stützen der Anthroposophischen Bewegung und Gesellschaft. Wie wichtig sie für die junge Gesellschaft war, erschließt sich nur durch die Mitteilungen von Marie Steiner und Andrej Belyj in seinem Buch „Verwandeln des Lebens“. Gäbe es diese beiden Beschreibungen über die Gräfin nicht, man wüsste heute kaum etwas über Pauline von Kalckreuth, außer ihren Namen. Was sie in Wirklichkeit für die Anthroposophische Gesellschaft war und was sie geleistet hat, das beschreibt Marie Steiner: „Pauline von Kalckreuth kann als einer der Tragepfeiler in dem Aufbau unserer werdenden Gesellschaft betrachtet werden; die Kraft der Hingabe, die sie in sie hineingegossen hat, bleibt bestehen … denn sie ist in das Mark der Gesellschaft eingedrungen. Hätten wir viele Leute mit dieser Fähigkeit des geduldigen Tragens und der Aufopferung, wir wären eine mächtige Gesellschaft … Ihre Liebekräfte konnte sie zu Erkenntniskräften umwandeln … Ihr eigenes künstlerisches Schaffen hatten sie aufgegeben, um ungeteilt der Arbeit für die Anthroposophie leben zu können.“ (Marie Steiner, Nachruf in: „Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht“, 26.5.1929) – Der Plural „hatten sie“ bezieht sich auf die unzertrennlichen Persönlichkeiten Sophie Stinde und Pauline von Kalckreuth, die beide in München gewirkt haben. Über diese

Zweiheit, Stinde-Kalckreuth, schreibt Andrej Belyj, dass beide eine „rituelle Bruderschaft“ hätten. Sie „stellten eine ‚zweieinige‘ Person dar: ‚Stinde‘ und ‚Kalckreuth‘, ‚Denken‘ und ‚Wollen‘ – bar alles Fühlens – und ‚Fühlen‘, unwahrscheinlich nuanciert und blühend im schönsten Sinne … die Gräfin Kalckreuth aber war ‚Gefühl‘ ohne eine Spur von Sentimentalität: Gefühl, das bis zur reinen geistigen Form erhöht und auf dem esoterischen Pfad geläutert worden ist.“ Stinde und Kalckreuth waren beide Malerinnen und beide haben ihre künstlerischen und persönlichen Ambitionen ganz der Anthroposophie gewidmet. Sie haben so bedingslos ge-

Gräfin Pauline von Kalckreuth, Malerin, geb. am 19.10.1856 in Düsseldorf, gest. am 8.5.1929 in München.

02_Einleitung-2

54

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 54

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

opfert, dass daraus eine Kraft erstand, durch die vieles ermöglicht wurde. Denn ohne diese beiden Persönlichkeiten gäbe es weder die Mysteriendramen, noch den Johannesbau bzw. das spätere Erste Goetheanum, so wie man es heute kennt. Dazu heißt es im Nachruf auf Pauline von Kalckreuth von Marie Steiner: „… Das Übermaß der an ihn (Rudolf Steiner) gestellten Forderungen hätte ihn anderes verrichten lassen, hätte diese Realisierung vielleicht verhindert…“ Es waren gerade die unspektakulären, oft undankbaren und doch so essentiellen Aufgaben der Organisation und der Vorbereitung, die die beiden übernahmen und dabei durch ihre Tatkraft, ihr Beharrungsvermögen und ihre Treue zur Anthroposophie die Verwirklichung erst ermöglichten. Und in einem Brief von Marie Sivers an Schuré kann man lesen: „Für die Karten (zur Aufführung des Dramas „Kinder des Luzifer“ von Schuré) braucht man sich nur an die Gräfin Kalckreuth zu wenden … Die Damen sind einzig in ihrem Eifer und ihrer Hingabe. Sie machen alle Arbeit, die man nicht sieht.“ Dieser unscheinbare Hinweis auf die Arbeit, die man nicht sieht, ist es, der die wirkliche Tätigkeit von Kalckreuth am besten beschreibt. Zu ihren Aufgaben gehörte denn auch der Umgang mit den „Verrückten und Kranken“, den „gescheiterten oder verirrten Existenzen“, die den Doktor wochenlang belagerten (Lindenberg, Chronik, S. 284). Es war Sophie Stinde, die den Gedanken einer Errichtung eines eigenen Baus für die Mysteriendramen in München aussprach. Und Kalckreuth schloss sich diesem kühnen Plan sofort an. Dass dieser Impuls letztlich in die Tat umgesetzt werden konnte, ist durch den persönlichen Verzicht auf ihre Laufbahnen als Malerinnen begründet, wodurch sie eine höhere künstlerische Urteilskraft gewannen, die sich in eine bedingungslose Tatkraft für die moderne Mysterienkunst umgewandelt hat. Marie Steiner schreibt dazu: „Sie (Stinde) und Gräfin Kalckreuth schritten tapfer der Realisierung dieses Gedankens (der

Errichtung des Johannesbaus) entgegen, der uns zunächst erschreckte, den wir fast zu kühn fanden … Alle vorbereitende und organisatorische Tätigkeit wurde wiederum von beiden Freundinnen geleistet. Und als der Bau nicht in München, sondern in der Schweiz errichtet werden musste, hielt kein Bedenken sie zurück, dieselbe Liebe und Kraft dem Bau … zu widmen.“ Der feinsinnige Andrej Belyj beschreibt Pauline von Kalckreuth folgendermaßen: „Hochgewachsen, hager, unglaublich durchgeformt, mit einer Gesichtsfarbe, die zuweilen einen purpurnen Lichtschein ausströmte, mit sehr großen, strengen, blauen Augen und einem Engelslächeln um den kleinen rosafarbenen Mund, ohne ein einziges graues Härchen, in rosafarbener oder purpurner Tunika mit einem Kreuz auf der Brust, schien sie mir in ihren besonders strahlenden Augenblicken nicht aus dieser Welt, wie aus dem Paradies zu kommen, alterslos, ein junges Mädchen; dabei war sie, als wir uns kennenlernten, bereits über fünfzig, Freundin und Förderin des Münchner Zweiges, eine ‚Maria‘, die als ‚Zweite Martha‘ waltete: Stinde und Kalckreuth oder Kalckreuth und Stinde. Etwas war merkwürdig: in den Augenblicken des Leuchtens bekam die Kalckreuth ein Engelsgesicht, aber ihre Augen weiteten sich und wurden streng, ich hatte den Eindruck, dass ihr Blau sich bis zum Blauschwarz vertiefte; und aus ihnen blickte mich die strenge Stinde an; während das strenge, nüchterne, unschöne Gesicht von Stinde verschwand, wenn man ihr in die Augen schaute: man versank in dem taubensanften gütigen Blick; aus diesen Augen blickte die ‚gütige‘ Kalckreuth …; … (Steiner) manifestierte sich in Stinde-Kalckreuth als die soziale Tatsache einer christlichen Gemeinschaft und machte München … heimatlich und vertraut; und man wusste nicht, wer zu dieser ‚Alchemie‘ den auslösenden Impuls gab: Sophie Stinde den Impuls der überlegenen, weisen Bewältigung der Arbeitslast an Gräfin Kalckreuth oder Kalck-

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 55

Gräfin Pauline von Kalckreuth

reuth den Impuls der die Arbeit durchleutenden Liebe an Stinde. Auch Gräfin Kalckreuth arbeitete Tag und Nacht; selbstverständlich wohnten beide Freundinnen zusammen, in dem rosaroten Haus der Kalckreuth (Adalbertstraße 55, 3. Stock, rechts, in München. Der Zweigraum war im Parterre, links).“ In der Wohnung der beiden lebte und arbeitete Rudolf Steiner während der Müchner Zeit, hielt Vorträge, und dort entstanden auch die Mysteriendramen. Pauline von Kalckreuth war die vierte Tochter des 1894 verstorbenen Direktors der Kunstschule in Weimar, des Landschaftsmalers Prof. Stanislaus Graf von Kalckreuth. Sie war eine Hofdame bei der Kaiserin Friedrich (1840 –1901), einer Tochter von Victoria von England und Mutter von Kaiser Wilhelm II. Die Kaiserin war sehr liberal, kunstsinnig und selbst eine begabte Malerin. Gegenüber Bismarck nahm sie eine konträre Position ein und beinflusste ihren Gemahl Kaiser Friedrich dementsprechend. Aufgrund ihrer Ausbildung als Hofdame war Pauline von Kalckreuth hochgebildet und sprach sicherlich fließend Französich und Englisch. Belyj schreibt: „Sie war eben eine ‚Ehemalige‘: Zu meiner Zeit unterhielt sie keine Beziehungen mehr zum Hof; und es war völlig unmöglich, sie sich außerhalb des Münchner Zweiges vorzustellen, ohne Eintrittskarten, die sie zu verteilen, ohne Adressen, die sie zu schreiben hatte, ohne helfende Sorge um die anderen; sie war immer in Geldnot, denn sie opferte der Sache und ihren Freunden alles, was sie besaß.“ Pauline von Kalckreuth war schon, bevor sie Rudolf Steiner traf, Mitglied der Theosophischen Gesellschaft und von Anbeginn der Anthroposophischen Gesellschaft Mitglied. Sie war eine persönliche, esoterische Schülerin Steiners und bei der Grundsteinlegung des ersten Goetheanums 1913 einer der sieben Persönlichkeiten, die Rudolf Steiner den Spaten reichte. Sophie Stinde war ebenfalls als „Mithandelnde“ anwesend. Später schnitzte von Kalckreuth an den Ar-

chitraven des Ersten Goetheanums. Als Belyj einmal einen Wutanfall bei der harten Arbeit bekam, sagte sie, nachdem er sich wieder beruhigt hatte: „Das macht nichts. Das Barometer ist gefallen.“ Und Belyj berichtet: „Ich brauchte mich vor ihr nicht zu genieren, da ich persönlich gesehen und gehört hatte, wie die vornehme, ausgeglichene alte Dame den Hammer gegen ihre Form feuerte, mit der sie nicht fertig werden konnte, und zu schreien anfing; sie rebellierte gegen den Doktor: ‚Er hätte es wenigstens richtig erklären können!‘… ich sprang mit einem Satz vom Gerüst, lief zu ‚ihrem‘ Architrav, reichte ihr ehrerbietig den Arm und half ihr wortlos vom Gerüst …“ Am 31. Dezember 1923 bat Pauline von Kalckreuth um die Aufnahme in die „neugestaltete anthroposophische Gesellschaft“, Rudolf Steiner schrieb auf diesen Brief ein kurzes und schwungvolles „Ja“. Und auf einem Stempelabdruck daneben heißt es lapidar „erledigt“. Als Sophie Stinde am 17.11.1915 in München starb, wurde es einsam um Pauline von Kalckreuth. Noch einsamer, als Rudolf Steiner 1925 starb. „Sie fand sich nicht mehr zurecht in der neuen Welt; sie vermisste so vieles von dem, was ihr notwendige Lebenssubstanz schien, selbst in unserer Bewegung.“ (Marie Steiner, im Nachruf) Am 10.5.1929 steht in den „Müncher Neuesten Nachrichten“: „Pauline Gräfin von Kalckreuth tödlich verunglückt. Die jüngste Schwester des berühmten, im Dezember vorigen Jahres gestorbenen Malers Leopold Grafen von Kalckreuth, des Präsidenten des Deutschen Künstlerbundes, die Kunstmalerin Pauline von Kalckreuth … ist am Dienstag abend in der Adalbertstraße, Ecke Türkenstraße tödlich verunglückt. Die Künstlerin wollte die Straße überqueren und wurde dabei von einer Radfahrerin angefahren … Die Verunglückte, die einen Schädelbruch erlitten hatte, wurde in das Krankenhaus Schwabing gebracht, wo sie starb.“

*

55

02_Einleitung-2

56

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 56

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Das Haus in der Adalbertstraße 55 heute. Aufnahme 2005. Hier entstanden die Mysteriendramen. Meist nachts geschrieben, in aller Frühe vom Setzer geholt und am Nachmittag in der nahe gelegenen Turnhalle geprobt.

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 57

Adalbertstraße 55

Fassadenzeichnung des Anwesens in der Adalbertstraße 55 in München-Schwabing, Baujahr 1895. Die Wohnung von Kalckreuth und Stinde lag im 3. Stock, rechts. Die Zweigräume im Parterre, links.

57

02_Einleitung-2

58

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 58

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Karl Pollmann

Die Münchner Jugend zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Der Text dieses Kapitels stammt aus der Schrift „Rudolf Steiner in München“, das 1961 zum 100. Geburtstag von Rudolf Steiner erschienen ist. Der gesamte Buchtext steht im Internet: www.anthroposophiemuenchen.de

W

as unter den jungen Münchener Künstlern zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Gesinnung und innerem Streben lebte, schildert uns Alexander Strakosch, der von 1900 bis 1903 hier studierte und in dem Kreis um Kandinsky auch seine spätere Lebensgefährtin, die Malerin Maria Giesler fand, in seinem Buch „Lebenswege mit Rudolf Steiner“. „Bald lernte ich auch junge Künstler kennen und verkehrte viel im Café Stephanie, das auch unter dem Namen Café Größenwahn bekannt war. Hier saßen die Größen der Kunst und die, welche es zu werden gedachten oder sich schon dafür hielten. Frank Wedekind war hier täglicher Gast, und auch Max Halbe, Max Reger und anderen bedeutenden Künstlern konnte man hier begegnen. Wenn der ,Bourgois‘ von München und von Künstlern hört, dann denkt er vor allem an den Fasching. Den haben die Künstler meist unter sich gehörig gefeiert. Doch lebte damals in der Boheme vielfach ein echtes Suchen nach einer vertiefteren Lebensauffassung und einer Lebensführung aus geistigen Impulsen. Abends, oft bis tief in die Nacht, führten wir auf den Ateliers, sehr oft bei dem Maler Jagersbacher, ernste Gespräche, nicht nur über künstlerische Probleme. Besonders bewegte uns die Frage, ob es jenseits der Sinneswelt eine geistige Wirklichkeit, einen Gott gäbe. Manchmal glaubten wir uns durchgerungen zu haben, dann

gab es einen Gott. Das dauerte wohl einige Wochen, dann ergriff uns wieder die Unruhe und es kamen Zeiten des Zweifelns und des Suchens. Manche merkten, dass da schließlich jeder seinen eigenen Weg finden müsse und dass es auf den Weg ankäme, auf die Verwirklichung des Geistes im Leben und nicht auf eine feste Meinung, sei sie auch noch so ehrlich errungen. Konfessionelle Fragen interessierten uns nicht. Der Künstler kann eigentlich gar nicht Materialist sein, sein Streben ist ja der lebendige Beweis gegen die Behauptung, dass der Stoff die einzige Wirklichkeit sei. Um so tiefer erlebt er dafür den Widerspruch zwischen dem, was ihn erfüllt, und der Inhaltslosigkeit, der inneren Haltlosigkeit jener anderen Lebensauffassung, die im bloßen Kampf ums Dasein den Grundzug der Lebensführung von Tier und Mensch erblicken will. Dagegen wehrten sich viele und stürzten sich je nach Charakter und Temperament auf Nietzsche und Schopenhauer. Einige fühlten sich auch bei Kant geborgen, indem sie die Sittlichkeit, für deren Begründung der Materialismus nichts geben konnte, kategorisch dem Leben einfügen wollten. Doch der Zweifel wuchs und ergriff immer weitere Kreise, denen bisher das Verharren im Überkommenen eine Art Schutz gewährt hatte. Wir waren dazumal eine kleine Gruppe, aber einmal wurde es uns klar

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 59

Erste Jahre in München

und wir sprachen es aus, dass in etwa 20 Jahren für weite Kreise der Jugend der Widerspruch zwischen innerem Streben und den Forderungen des äußeren Lebens zu einer grundsätzlichen Lebensfrage werden würde. Was dann tatsächlich als Jugendbewegung kam und nach kurzer Zeit im ,Bürgerlichen‘ versandete, das war nicht, was wir erwartet hatten. Das ging hervor aus dem Fühlen und kam darüber kaum hinaus, während wir nach tragenden Erkenntnissen gesucht hatten, um eine bewusste Einheit der Lebensauffassung und der Lebensführung zu begründen. Erkenntnisse muss sich jeder durch eigene Anstrengung erwerben. Aber von denen, die nach solchen Zielen streben, kann man sich verstanden und bestärkt fühlen.“ Maria Strakosch-Giesler bestätigt in einem Brief vom 5.12.1960 die von Ale-

xander Strakosch geschilderte Situation und spricht von der eigentümlichen inneren Unruhe, die damals unter den jungen Studierenden in München zu bemerken gewesen sei. „Es war, als ob eine mahnende Stimme ihnen sagte, die bisherigen, mit Bequemlichkeit hergestellten sogenannten Kunstwerke etc. sind so nichtssagend, dass, was mein Seelisch-Geistiges erfüllt an Sehnsucht nach Weisheit, Schönheit, Stärke, nach anderen Wegen und Wirkenskräften ruft, fast könnte man sagen schreit … Wenn man durch die großen Säle des Glaspalastes mit ihrer ausgezeichneten Beleuchtung wanderte und schaute, so sah man rings um sich immer das gleiche Bemühen: Die dreidimensionale Welt mit möglichst photographischer Genauigkeit darzustellen. Das konnte aber die Photographie fast noch besser. Das Geistig-Seelische der Farbe ist das

59

Das Café Stefanie war an der Wende zum 20. Jahrhundert ein Künstlerlokal in München an der Ecke Amalien-/Theresienstraße. Es war ein Treffpunkt für die Boheme und lag in der Nähe der Kabaretts „Simplicissimus“ und „Die elf Scharfrichter“. Damals war es eines der wenigen Lokale in München, das bis drei Uhr geöffnet sein durfte.

02_Einleitung-2

60

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 60

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Grundprinzip der Malerei, sie verlangt aber die Fläche, ein Zweidimensionales, sonst kann sie ihre Sprache nicht erklingen lassen.“

1904-1906: Die ersten Jahre anthroposophischen Wirkens in München Im Jahre 1902 war Rudolf Steiner aufgefordert worden, innerhalb der Theosophischen Gesellschaft vorzutragen. Dieses Angebot hatte er angenommen und war im Oktober 1902 Generalsekretär der gleichzeitig begründeten Deutschen Sektion der

Rudolf Steiners erster öffentlicher Vortrag in München fand am 21.11.1904 im so genannten Prinzensaal des berühmten Café Luitpold statt.

Theosophischen Gesellschaft geworden. Er schreibt im 31. Kapitel von „Mein Lebensgang“, dass sich aus den Persönlichkeiten, zu denen er außerhalb der Theosophischen Gesellschaft in öffentlichen Vorträgen sprach, und denen, die aus der Betätigung mit irgendeiner „theosophischen Richtung“ den Weg zu seiner Art, über die Geistwelt zu sprechen, fanden, im Rahmen der Theosophischen Gesellschaft das herausgebildet habe, was später Anthroposophische Gesellschaft wurde. „Da entstand das Berliner, das Münchener, das Stuttgarter Wirken usw. Andere Orte schlossen sich an. Da verschwand allmählich das Inhaltliche der Theosophischen Gesellschaft, es erstand, was seine Zustimmung fand durch die innere Kraft, die im Anthroposophischen lebte“ Das 33. Kapitel des Buches „Mein Lebensgang“ beginnt Rudolf Steiner mit dem

Hinweis, dass sich seine erste Vortragstätigkeit innerhalb der aus der theosophischen Bewegung hervorgewachsenen Kreise nach den Seelenverfassungen dieser Kreise richten musste und dass er erst im Laufe der Zeit mit der vorrückenden Arbeit immer mehr auch in der Ausdrucksweise die eigenen Wege gehen konnte. Es ist deshalb bei den Nachschriften der Vorträge aus den ersten Jahren seiner anthroposophischen Wirksamkeit zwischen Ausdrucksform und Innerlichkeit zu unterscheiden. „Innerlich, geistig“, schreibt Rudolf Steiner, ist das, was in diesen Nachschriften vorliegt. „ein getreues Abbild des Weges, den ich einschlug, um die Geisteserkenntnis stufenweise zu verbreiten, so dass aus dem Naheliegenden das Fernerliegende erfasst werden sollte. Für mich waren die Jahre etwa von 1901 bis 1907 oder 1908 eine Zeit, in der ich mit aller Seelenkraft unter dem Eindruck der an mich herankommenden Tatsachen und Wesenheiten der Geistwelt stand.“ Rudolf Steiners erster öffentlicher Vortrag in München fand am 21.11.1904 im sogenannten Prinzensaal des damaligen Café Luitpold über das Thema „Die Wahrheit in der Theosophie und ihre Bedeutung für den Menschen“ statt. Ludwig Kleeberg, der 1904 sein erstes Studiensemester in München verbrachte und zusammen mit einem Freund an der Universität eine „Akademische Theosophische Vereinigung“ zu gründen beabsichtigte, schildert uns in seinem Buch „Wege und Worte, Erinnerungen an Rudolf Steiner“ den ersten Eindruck, den er von dem Vortragenden an jenem Abend erhielt, folgendermaßen: „Gleich darauf trat Steiner in den Saal. Man vergißt ihn nie, diesen Anblick und diesen Blick. Ich stellte ihn mir vor wie einen Brahmanen mit großem, dunklem Bart und mit langem, weitem Mantel ... Statt dessen ein Mann, der eher einem Humanisten wie Erasmus von Rotterdam glich. Er hatte Mittelgröße, schien aber groß zu sein. Sein Gesicht war bartlos, mit charakteristischer, den Denker auszeichnender Bildung,

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 61

Erste Jahre in München

mit scharf geschnittener, etwas gebogener Nase, – im ganzen edel. Das glänzendschwarze Haar war lange nach hinten gekämmt, eine Strähne hatte immer das Bestreben, auf der linken Stirnseite abzugleiten. Unter dem Kragen trug er einen wallenden Schlips. So stand er jetzt im Saal, überschaute mit seinem Blicke die überaus zahlreiche Zuhörerschaft und bestieg die Rednerbühne. Er begann seinen Vortrag. Der Blick, zuerst nach außen gewendet, schien mitunter nach innen gekehrt. Er sprach aus einer inneren Anschauung heraus. Die Sätze formten sich unter dem Sprechen. Es war Kraft in seinen Worten ... Seine Rede ging zu Herzen, weil sie aus dem Herzen kam, das viel Wissen und Liebe in sich trug. Eine unverkennbar österreichische Färbung der Sprache gab dieser etwas Ursprüngliches, Urkräftiges, Erdgewachsenes und sogar Liebenswürdiges. Gegen den Schluss, wogegen der Anfang langsam, fast zögernd war, als spreche er wie aus einem Traum, steigerte sich seine Rede zu symphonischer Macht, bis er die Krönung in einer siegreichen Schlusskadenz fand.“ Am nächsten Tag, dem 22.11.1904, hielt Rudolf Steiner den zweiten öffentlichen Vortrag: „Steht die Theosophie im Widerspruch mit der Wissenschaft?“ „Nach der Diskussion, die folgte“, schreibt Kleeberg, „stand man im kleinen Kreis zusammen. ,Der Mann weiß alles‘ das war der Eindruck, den ich empfing. Mit wenigen Worten viel gesagt. Selbst wenn einem unwissenden und unerfahrenen Stu-

denten zu imponieren leicht gewesen wäre. Aber Steiner ,imponierte‘ einem gar nicht, weil er nicht prunkte.“ Aus dem weiteren Bericht Kleebergs über diese Tage ist eine Stelle noch besonders interessant: Am 23.11.1904 „ging Steiner zum Rektor der Universität, um für unser Werk etwaigen amtlichen Widerstand beseitigen zu helfen. Wie er nachher berichtete, stehe Professor Lindemann unseren Bestrebungen wohlwollend gegenüber. Dieser habe auch Professoren der Theologie befragt, welche nichts gegen die Theosophie einzuwenden gehabt.“ Bei dieser Gelegenheit erfahren wir auch, dass die Zusammenkünfte der „Loge“ (eine Bezeichnung, die keinen Zusammenhang mit den Freimaurer-Orden hatte) damals „in einem nicht allzu großen Zimmer des Hauses Adalbertstraße 49“ stattfanden und der „Zweig“ erst im April 1906 in das Haus Nr. 55, Parterre links, übersiedelte. Dieses Haus, in dem die Zweigleiterinnen Sophie Stinde und Gräfin Pauline Kalckreuth wohnten (3. Stock rechts), und in dem Rudolf Steiner so oft weilte und sprach, hat den Bombenkrieg überdauert. Eine Gedenktafel hat es noch nicht.

61

München, Marienplatz um 1907

02_Einleitung-2

62

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 62

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Rudolf Steiner 1904

Eine Mitgliederliste von 1905 verzeichnet auffallend viele Adlige. Die Frauen waren weitaus in der Überzahl, was in der Öffentlichkeit zu allerlei Witzeleien Anlass gab (siehe Münchner-Mitgliederliste auf S. 431). Das Thema eines öffentlichen Vortrags Rudolf Steiners vom 10.11.1905 über „Theosophie, Kunst und Künstler“ zeigt die Richtung, in der sich das anthroposophische Leben in dieser Stadt besonders entwickeln sollte. Rudolf Steiner selbst spricht im letzten Kapitel seiner unvollendeten Selbstbiographie „Mein Lebensgang“ von den zwei entgegengesetzten Polen der anthroposophischen Bewegung in Berlin und München. In München war von vorn-

herein die Anthroposophie in ein künstlerisches Element hineingestellt. „Das künstlerische Bild“, schreibt Rudolf Steiner, „ist spiritueller als der rationalistische Begriff. Es ist auch lebendig und tötet das Geistige in der Seele nicht, wie es der Intellektualismus tut ... In München gestalteten die künstlerischen Empfindungen in einzelnen Kreisen individuelle Bedürfnisse, und ich trug in solchen Kreisen vor.“ Als eine Art Mittelpunkt dieser Kreise wird derjenige genannt, der sich um die Gräfin Kalckreuth und Fräulein Stinde bildete. Mehrere andere markante Persönlichkeiten werden noch namentlich erwähnt. Aus den „Mitteilungen für die Mitglieder der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft“, herausgegeben von Mathilde Scholl, Köln, März 1906 Nr. 2, erfahren wir, dass im Januar 1906 in der Damenstiftstraße 6 ein kleiner Laden gemietet und als „Theosophisches Lesezimmer“ hergerichtet wurde, „um solchen, die keiner Loge angeschlossen sind und keinem theosophischen Zirkel, wie in München noch verschiedene bestehen, z.B. der von Herrn Deinhard, der von Frau von Schewitsch und das sogenannte Ketterl, das unter dem Vorsitz der Herren Dr. Strebl und Dr. Wedel steht – und die sich über Theosophie informieren wollen, Gelegenheit dazu zu geben“. Zweimal in der Woche fanden dort Vorlesungen und Fragebeantwortungen statt (Besucherzahl ca. 18 Personen). Samstags, am sogenannten stillen Leseabend, wurden theosophische Bücher und Zeitschriften ausgelegt (Besucherzahl 4 bis 6 Personen). Sonntags war Musik- und Leseabend (Harmoniumspiel, Gesang, Deklamation, Vorlesung, Auslegung von Kunstblättern und Künstlermonographien u.a.).

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 63

Erste Jahre in München

Im Januar 1906 bildete, wie in den zitierten Mitteilungen zu lesen ist, die unter dem Vorsitz des Herrn Elkan stehende Theosophische Vereinigung eine Theosophische Loge München II. Ihre Zusammenkünfte waren in der Damenstiftstr. 6, diejenigen der Loge I, die damals 36 Mitglieder zählte, in der Adalbertstr. 55. Vom 27. Oktober bis 6. November 1906 hielt Rudolf Steiner einen Zyklus von 8 Vorträgen über „Die Theosophie anhand des Johannes-Evangeliums“.

1907 – der Theosophische Kongress Vom 18. bis 21. Mai 1907 fand in München in der Tonhalle der Kongress der Föderation der europäischen Sektionen der Theosophischen Gesellschaft statt. Rudolf Steiner betont an dieser Stelle seiner Selbstbiographie, dass künstlerische Umgebung und spirituelle Betätigung im Raum eine harmonische Einheit sein sollten und er dabei den allergrößten Wert darauf gelegt habe, die abstrakte, unkünstlerische Symbolik zu vermeiden und die künstlerische Empfindung sprechen zu lassen. Mathilde Scholl in den „Mitteilungen für die Mitglieder der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft“ Nr. 5 vom August 1907 und Guenther Wachsmuth in „Rudolf Steiners Erdenleben und Wirken“ schildern ausführlich den Verlauf des Kongresses: Die Zahl der Teilnehmer wird in den „Mitteilungen“ auf 600 geschätzt. Schon die Eröffnung der Tagung am 18.5.1907 brachte eine künstlerische (musikalische) Einleitung. Nach der Begrüßung durch den Generalsekretär, Dr. Steiner, und eine Ansprache der Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft, Annie Besant, nahmen die Teilnehmer – so schreibt M. Scholl – „die Gelegenheit war, die eindrucksvolle Ausstattung des großen Tonhallensaals näher zu besichtigen, sowie auch im Vorsaale die dort vereinte kleine, aber fesselnde Bildersammlung zu betrachten. Schon der erste Anblick des mit rotem Stoffe bekleideten großen Saales hatte auf die Gäste einen besonderen Ein-

druck gemacht – man gestand sich je länger je mehr, dass die intensive, jedoch nicht grelle Farbe des Raumes eine beruhigende, wenn nicht erhebende Stimmung hervorrufe. Diese Stimmung unterstützte noch eine Anzahl von plastischen Kunstwerken, sieben gemalte mächtige Säulen und sieben runde Wandbilder mit symbolischen Darstellungen, wie auch vor der Bühne, auf der die Vertreter der Sektionen Platz genommen hatten, die Büsten von Schelling, Hegel und Fichte und zwei kräftige Rundsäulen mit kugelförmigem Abschluss, auf denen die Inschriften gelesen werden konnten: J Im reinen Gedanken findest du Das Selbst, das sich halten kann. Wandelst zum Bilde du den Gedanken, Erlebst du die schaffende Weisheit. B Verdichtest du das Gefühl zum Licht, Offenbarst du die formende Kraft. Verdinglichst du den Willen zum Wesen, so schaffst Du im Weltensein. Rudolf Steiner selbst erklärte in einem damals in seiner Zeitschrift „Lucifer-Gnosis“ gegebenen Bericht (abgedruckt im Nachrichtenblatt 1937, Nr. 21 und 22) ausführlich die Ausschmückung des Saales. Von den Sprüchen sagte er, man müsste viele Bücher schreiben, wollte man den ganzen Sinn dieser Sprüche ausschöpfen, denn darinnen sei nicht nur jedes Wort bedeutungsvoll, sondern auch die Symmetrie der Worte, die Art, wie sie auf die vier Sprüche verteilt seien, die Steigerungen, die darinnen lägen, und noch vieles andere, so dass nur langes, geduldiges Hingeben an die Sache das darinnen Liegende ausschöpfen könne. (Siehe auch die Einführung Rudolf Steiners zum Bildband „Bilder okkulter Siegel und Säulen“, GA 284). Immer wieder fanden außer den Vorträgen und Aussprachen künstlerische Darbietun-

63

02_Einleitung-2

64

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 64

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

gen statt (Deklamation und Rezitation, Gesang, Streichmusik, Orgelspiel). Plastische Arbeiten, Bilder usw. von Künstlern aus der Gesellschaft waren ausgestellt. Im Mittelpunkt der künstlerischen Veranstaltung aber stand die Uraufführung des „Heiligen Dramas von Eleusis“, eines Mysteriendramas von Edouard Schuré, zu dem Bernhard Stavenhagen die Musik komponiert hatte. Die

„Es war ein denkwürdiger Anblick, Rudolf Steiner und Annie Besant beieinander stehen zu sehen. Sie vertraten schon jetzt zwei Gegensätze. In fünf Jahren kam er offen zum Ausbruch ...“ Aufführung war am 19.5.1907. Marie von Sivers hatte schon früher das Drama aus dem Französischen übersetzt, Rudolf Steiner hatte es sprachlich für eine Bühnenaufführung eingerichtet. Marie von Sivers, die bereits am Abend vorher Stellen aus Faust II vorgetragen hatte, spielte die Demeter. Rudolf Steiner schreibt dazu in „Mein Lebensgang“, dass sie in ihrer Darstellung schon deutlich auf die Nuancen hingewiesen habe, die das Dramatische in der Gesellschaft erhalten sollte. „Außerdem waren wir in einem Zeitpunkt, in dem die deklamatorische und rezitatorische Kunst durch Marie von Sivers in dem Herausarbeiten durch die innere Kraft des Wortes an dem entscheidenden Punkte angekommen war, von dem aus auf diesem Gebiete fruchtbar weitergegangen werden konnte.“ Vorträge hielten außer Dr. Steiner und Annie Besant, Michael Bauer (über „Das Verhältnis der Natur zum Menschen“), Dr. Carl Unger (über „Die Wege der theosophischen Weltanschauung“) und Frau Wolfram (über „Die okkulten Grundlagen der Siegfriedsage“). Rudolf Steiner selbst sprach am 19.5. über „Die Einweihung des Rosenkreuzers“. War schon die Aufstellung der Büsten von

Schelling, Fichte, und Hegel bezeichnend dafür, wie Rudolf Steiner an das abendländische Denken, insbesondere den deutschen Idealismus anknüpfte, so auch, dass er seinen Vortrag, was Kleeberg in seinen Erinnerungen betont, mit dem Hinweis auf ein Erkenntniswort Hegels begann und mit einem Weisheitspruche Goethes beschloss. Er charakterisierte nach Erwähnung des von ihm schon behandelten Yogapfades den christlichen Einweihungsweg, um als heute zeitgemäßen den des Rosenkreuzers zu beschreiben. Am 20.5. sprach Rudolf Steiner über „Planetarische und Menschenentwicklung“. Am 21.5. erklärte er nach einer Aussprache über Erziehungsfragen die künstlerische Ausgestaltung des Tonhallensaales. „Durch die Ausstattung des Saales“, so schließt M. Scholl ihren Bericht in den „Mitteilungen“, „in der auch die Zeichen des Tierkreises sich wiederfanden, durch die Säulen und Siegel, wie durch das Mysteriumspiel und überhaupt durch die Anordnung des ganzen Kongresses sollte, wie Herr Dr. Steiner bemerkte, ein Versuch gegeben sein, die Kunst in engerer Beziehung zu den wirklichen Lebensvorgängen zu zeigen. Wenn wir in der Kunst wieder einen Kulturfaktor erblicken wollen, von der Bedeutung, die dieser im Altertum hatte, dann muss sie wieder Anschluss suchen an die hinter den Erscheinungen liegenden Vorgänge des Lebens, dann müssen die Künstler die Kraft gewinnen, uns die Lebensvorgänge selber im Bild und in der plastischen Form zu deuten.“ „Unsere Intentionen“, sagte Rudolf Steiner, rückblickend auf den Münchner Kongress, in der Generalversammlung vom 21.10.1907 (Mitteilungen Nr. 6 vom Februar 1908), „gingen dahin, einen Anfang zu machen, die Theosophie nicht bloß eine Summe abstrakter Dogmen sein zu lassen, sondern diesen Einfluss zu verschaffen auf das Leben, das uns umgibt. Niemand kann sich der Illusion hingeben, dass die Art und Weise, wie uns die Harmonie in bezug auf die ganze Ausgestaltung des Kongresses gelungen ist, ver-

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 65

Erste Jahre in München

glichen mit dem, was als theosophischer Gedanke lebt, mehr war als ein schwacher Anfang. Aber alles muss einmal anfangen ... Alles, was da zu leisten war, wurde von unseren lieben Münchener Freunden in einer nicht nur hingebungsvollen, sondern geradezu umfassend verständnisvollen Weise geleistet, so dass sich in dieser Arbeit am schönsten auslebte, was man theosophische Einheit und Harmonie nennt.“ In „Mein Lebensgang“ schließt Rudolf Steiner die Schilderung des Theosophischen Kongresses von 1907 mit der Feststellung ab, dass ein großer Teil der alten Mitglieder der Gesellschaft aus England, Frankreich und namentlich aus Holland „innerlich unzufrieden gewesen seien“ mit den Erneuerungen, die ihnen dieser Kongress gebracht habe. Mit der anthroposophischen Strömung sei etwas von einer ganz anderen inneren Haltung gegeben gewesen, als sie die bisherige Theosophische Gesellschaft gehabt habe. „In dieser inneren Haltung lag der wahre Grund, warum die anthroposophische Gesellschaft nicht als ein Teil der theosophischen weiterbestehen konnte. Die meisten legten aber den Hauptwert auf die Absurditäten, die im Lauf der Zeit in der Theosophischen Gesellschaft sich herausgebildet haben und die zu endlosen Zänkereien geführt haben.“ Das sind die letzten Sätze der Selbstbiographie, die Rudolf Steiner noch auf dem Krankenbette schrieb. Kleeberg, der an dem Kongress teilgenommen hatte, bemerkt in „Wege und Worte“ u.a.: „Es war ein denkwürdiger Anblick, Rudolf Steiner und Annie Besant beieinander stehen zu sehen. Sie vertraten schon jetzt zwei Gegensätze. In fünf Jahren kam er offen zum Ausbruch ...“ Dem Kongress waren am 22.4., 1., 8. und 15.5. Zweigvorträge Steiners über die Apokalypse vorangegangen, ihm folgten am 23. und 24.5. zwei öffentliche Vorträge über „Bibel und Weisheit“ und vom 25.5. bis 6.6.1907 ein Zyklus von 14 Vorträgen über „Die Theosophie des Rosenkreuzers“.

Kunst- und Musiksäle Am 1.3.1908 wurde durch die Initiative von Sophie Stinde und ihrer getreuen Helferin Gräfin Kalckreuth in München-Schwabing, Herzogstr. 39/0 ein „Kunst- und Musiksaal“ eröffnet. „Wir hatten die Notwendigkeit erkannt“, schrieb am 19.8.1909 Sophie Stinde an Kleeberg, „dass Kunst und Schönheit in das Leben derjenigen Klasse eintreten müsse, die nur Arbeit und Unschönes, Prosaisches kennt. Wartet man aber, bis man Geld für derlei hat, so entsteht nie Gutes, Selbstloses. Man muss handeln, sobald man die Notwendigkeit einer guten Sache erkannt hat. Man muss mitarbeiten an der Entwicklung der Menschheit, und das ist der große Unterschied zwischen Osten und Westen, zwischen indischem Yoga und Rosenkreuzerei.“ Scholl berichtet über die soziale Tat ausführlich in Nr. 7 der „Mitteilungen“ vom September 1908: „Als ... im Laufe des Winters in einem Vortrage die inhaltsschweren Worte fielen, dass es für einen Okkultisten ein furchtbarer Gedanke wäre, dass eine ganze Klasse der Menschheit ausgeschlossen sei von aller Schönheit und aller Kunst, da mussten die Bedenken und Hindernisse fallen. Eine Stätte musste geschaffen werden, wo den Arbeitern Kunst und Schönheit nahegebracht werden konnte – ein Raum, hart an der Straße liegend, wo die Vorübergehenden durch Transparente, mit Programm an den Fenstern und durch die Musik im hell erleuchteten Saale angezogen würden, in ihren Arbeitskleidern hereinzukommen, um eine Stunde lang Künstlerisches in dem einfachen, aber doch schönheitsvollen Raume zu genießen. Eine große Bierwirtschaft, die wegen Konkurrenz geschlossen war, fand sich nach einigem Suchen als geeignetes Lokal. Ohne Zeit zu verlieren, wurde mit der Reinigung und Ausgestaltung begonnen, und nach 14 Tagen konnte der Kunstsaal schon eröffnet werden. Ein Harmonium wurde von einem Logenmitgliede zur Verfügung gestellt, ein Klavier wurde angeschafft; Ölgemälde von Künstler-

65

02_Einleitung-2

66

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 66

Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

In Landin 1906: v.l.n.r. stehend: Sophie Stinde, Marie v. Schwerin, Sally Bredow, Eugenie Bredow, Rudolf Steiner, Graf v. Schwerin. Sitzend, v.l.n.r.: Excellenz v. Sivers, Selma Wilde, Mathilde Scholl, Olga v. Sivers, Gräfin Pauline von Kalkreuth, Lisa v. Moltke, Marie v. Sivers

Mitgliedern, geschenkte Reproduktionen, Lorbeerbäume, Blumen, Plastiken schmückten den Raum und von Freunden, Bekannten, Verlegern wurden Kunstwerke aller Art erbettelt ... Draußen, neben der Türe, wurde ein Schild angebracht mit der Inschrift: Kunstund Musiksaal, Eintritt frei. Auf einer Glastafel, die in eins der Fenster ausgehängt wurde, stand das Wochenprogramm zu lesen, auf einer zweiten im anderen Fenster das Tagesprogramm. Der Saal ist jeden Abend – außer montags – geöffnet und dreimal außerdem am Tage. Einmal wöchentlich – sonntags – werden Lichtbilder mit Erklärung, Rezitationen und Musik gebracht. Zweimal wöchentlich ist Konzertabend. Drei Mitglieder haben sich verpflichtet, immer mit Harmonium, Klavier und Geige (evtl. Gesang) einzuspringen und immer anwesend zu sein, falls nicht genügend Mitwirkende zu den Musikabenden erscheinen sollten. Ein festes Programm wird nicht vorher gemacht. Wer etwas geben möchte, erscheint kurz vor 8 Uhr. Dann

bestimmt man erst gemeinsam die Reihenfolge, damit eine Harmonie hergestellt werde. Jeden Mittwoch und Sonnabend nachmittag erzählt ein jüngeres Mitglied der Loge ein Märchen vor einer großen Zahl von Kindern, etwa 120 an der Zahl. Es werden fast ausschließlich die alten Märchen (z.B. Grimm) gewählt, die einen okkulten Hintergrund haben. Auch diese Erzählungen werden mit Gesang und Musik eingeleitet und beschlossen. (Übrigens werden auch im theosophischen Lesezimmer jeden Sonntag Nachmittag von einem Mitglied den Kindern solche Märchen erzählt) ... Am Mittwoch Abend und am Sonntag Morgen zwischen 9 und 12 Uhr werden die Kunstwerke ausgelegt. Abends nur für Erwachsene, sonntags auch für größere Kinder. Viele Mitglieder helfen, die Ordnung halten und erklären; das ist ein reiches Arbeitsfeld. Freitags sind einführende Vorträge über Theosophie für solche, die noch nichts oder wenig davon gehört haben ... Am ersten Abend kamen

02_Einleitung-2

07.08.2008

15:57 Uhr

Seite 67

Erste Jahre in München

gleich 30 Leute, die noch nichts von Theosophie wussten, die es sich nur) einmal anhören wollten. Das Gehörte hat sie dann so gefesselt, dass sie den nächsten Abend kaum erwarten konnten, wie einige sagten, und seitdem ist die Zahl der ständigen Hörer auf etwa 40 gestiegen. Auch dieser Abend wird wie jeder Abend mit Musik eröffnet und beschlossen ... Am Sonnabend Abend werden Sagen, Mythen und Heldengeschichten verlesen und dazwischen erzählt und in Poesie rezitiert. Auch Dramen und Rezitationen aller Art sind mit auf das Programm gesetzt. Der Anfang wurde mit den Nibelungen gemacht. Außer den ständig hängenden Bildern gibt es noch eine kleine Wochenausstellung von Radierungen, Kupferstichen, Zeichnungen, Reproduktionen nach echten Meistern, die von den verschiedenen Mitgliedern auf 8 oder 14 Tage geliehen werden. Es helfen jetzt schon über 20 Logenmitglieder in dem Musikraume und viele Freunde gelegentlich oder auch ständig. Es ist nicht ausgeschlossen, dass noch in anderen Stadtteilen ähnliche Kunststätten entstehen, sobald sich genügend Mitarbeiter finden und wieder jemand bereit ist, die Einrichtung zu beschaffen und die jährlichen Ausgaben von etwa Mk 900 bis 1000 zu bestreiten. Sehr viel Beifall hat auch die Idee gefunden, Dilettanten aus allen Kreisen, die künstlerisch studiert haben, Gelegenheit zu geben, sich hier einen Wirkungskreis zu schaffen. Immer mehr Mitwirkende finden sich für die Konzertabende und so kann das Programm auch immer reichhaltiger werden. Außerdem werben alle Logenmitglieder unter ihren Freunden, so dass wohl kaum je ein Mangel an Mitwirkenden eintritt. Und voller Dank sind die Zuhörer für alles, was ihnen geboten wird. Durch diesen Kunstsaal wird die Brücke geschlagen zwischen den Theosophen – den sogenannten Vornehmen und Reichen! und der armen arbeitenden Bevölkerung, was letztere als etwas sehr Erfreuliches empfindet“.

Die Schilderung wurde so ausführlich gebracht, weil sie in ihrer Konkretheit und Lebendigkeit einerseits zeigt, wie sehr sich die Verhältnisse in 100 Jahren gewandelt haben, andererseits aber auch den Gegenwärtigen unmittelbar etwas zu sagen hat. Wieviel Eifer und Schwung, wieviel Kraft der Phantasie und Vertrauen zur Improvisation treten uns aus diesem Bericht entgegen, und wie viele Menschen haben als Erwachsene oder Kinder in München von der Anthroposophie ausgehende geistige Anregung empfangen! Am 4.11.1909 wurde in der Zieblandstraße 24 als Ersatz für das theosophische Lesezimmer in der Damenstiftstraße ein zweiter „Kunstsaal“ eröffnet. Das Lesezimmer in der Damenstiftstraße war schon lange viel zu klein, sodass die „Kunstabende“ schon im zweiten Winter ihrer Gründung fallen gelassen wurden („Mitteilungen“ Nr. 10 vom Januar 1910). Das Programm war ähnlich dem in der Herzogstraße. Im Dezember 1909 wurde ein vierter Zweig gegründet. Die Mitgliederzahlen der vier Zweige werden in Nr. 13 der „Mitteilungen“ vom März 1912 wie folgt angegeben: München I 165, II 30, III 25, IV 26. In dem Mitteilungsblatt vom April 1914 werden nur noch drei Zweige der Anthroposophischen Gesellschaft aufgezählt: München I, München II und München (Goethe-ArbeitsGruppe).

67

Anthroposophie wird Kunst

Anthroposophie wird Kunst Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

ISBN 978-3-00-025311-9

Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland Arbeitszentrum München

EDN ICM PSSR

Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart Eine Dokumentation der Veranstaltungen der Anthroposophischen Gesellschaft in München nach hundert Jahren

Mit Beiträgen von: Werner Barfod Joachim Daniel Rudolf F. Gädeke Michaela Glöckler Roland Halfen Wilfried Hammacher Gerhard Herz Friedwart Husemann Armin Husemann Wolf-Ulrich Klünker Karl Lierl Serge Maintier Aiga Matthes Mechtild Oltmann Markus Osterrieder Sergej Prokofieff Lorenzo Ravagli Florian Roder Günter Röschert Robert Schmidt Marcus Schneider Hartwig Schiller Georg Schumann Virginia Sease Peter Selg Hans Supenkämper Andreas Weymann Kazuhiko Yoshida Ursula Zimmermann Herausgeber: Karl Lierl Florian Roder

Smile Life

When life gives you a hundred reasons to cry, show life that you have a thousand reasons to smile

Get in touch

© Copyright 2015 - 2024 PDFFOX.COM - All rights reserved.