Überrollungslebensdauer des Wälzlagerstahls ... - E-LIB Bremen [PDF]

Temperatur durchgeführt. Die gängigen Anlassbehandlungen nach der martensitischen. Härtung und die daraus resultieren Wä

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Idea Transcript


Überrollungslebensdauer des Wälzlagerstahls 100Cr6 in Abhängigkeit von nicht idealen Gefügeausbildungen unter besonderer Berücksichtigung der Karbidzeiligkeit

Vom Fachbereich Produktionstechnik der UNIVERSITÄT BREMEN

zur Erlangung des Grades

Doktor-Ingenieur genehmigte

Dissertation von Dipl.-Ing. Klaus Burkart

Gutachter: Prof. Dr.-Ing. Hans-Werner Zoch Prof. Dr.-Ing. habil. Dietmar Eifler (Universität Kaiserslautern)

Tag der mündlichen Prüfung: 04.12.2009

I Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stiftung Institut für Werkstofftechnik (IWT) Bremen. Die wesentliche Grundlage zu dieser Arbeit lieferte das AiF-Vorhaben „Karbidzeiligkeit“, das im Arbeitskreis „Werkstoffe“ der Forschungsvereinigung Antriebstechnik (FVA) betreut wurde. Dieses Forschungsvorhaben war ein gemeinschaftliches Projekt zusammen mit dem Institut für Eisenhüttenkunde (IEHK) der RWTH Aachen, wobei der Schwerpunkt der dortigen Arbeit auf der Charakterisierung der Mikrostruktur mittels bildanalytischer Methodik lag. Für die in diesem Rahmen erfolgte gute Zusammenarbeit möchte ich Herrn Dr.-Ing. Sebastian Trute und Frau M. Sc. Silke Harksen herzlich danken. Herrn Prof. Dr.-Ing. P. Mayr und Herrn Prof. Dr.-Ing. H.-W. Zoch danke ich für die Möglichkeit der Durchführung dieser Arbeit und für die erhaltene Unterstützung. Herrn Prof. Dr.-Ing. D. Eifler danke ich für die Begutachtung der Arbeit und die Mitwirkung im Prüfungsausschuss. Herrn Prof. Dr.-Ing. R. Kienzler danke ich für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes. Herrn Dr. rer. nat. H. Bomas danke ich für die stete wissenschaftliche Betreuung, sein Interesse an dem Fortgang der Untersuchungen, die hilfreichen Anregungen und für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts. Ein weiterer herzlicher Dank geht an Herrn Dipl.-Ing. Roland Schröder vom Fachgebiet Technische Mechanik - Strukturmechanik des Fachbereichs Produktionstechnik der Universität Bremen für die Durchführung der umfangreichen FE-Modellierungen, die einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der experimentellen Untersuchungen geleistet haben. „Last aber nicht least“ danke ich allen technischen und wissenschaftlichen Mitarbeitern des IWT für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit und die hilfreiche Unterstützung, die mir während der Entstehung dieser Arbeit zuteilwurde. Ein besonderer Dank geht an Herrn Bernd Bölitz, der durch sein großes Engagement im Prüflabor maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeit beitrug. Ebenso möchte ich Herrn Ulf Barthel danken, der durch seinen unermüdlichen Einsatz das Gelingen der Überrollungsversuche gewährleistete.

II Inhaltsverzeichnis Vorwort ..................................................................................................................................... I Inhaltsverzeichnis .................................................................................................................. II Zeichen und Benennungen ................................................................................................. IV 1 Einleitung und Zielsetzung ............................................................................................ 1 2 Grundlagen und Kenntnisstand .................................................................................... 2 2.1 Werkstoff .................................................................................................................. 3 2.1.1 Verarbeitungs- und Bauteileigenschaften der Wälzlagerstähle .......................... 5 2.1.2 Gefügecharakterisierung .................................................................................. 10 2.2 Überrollung............................................................................................................. 16 2.2.1 Mehrachsiger Spannungszustand und Festigkeitshypothesen ........................ 16 2.2.2 Lastverteilung im Radiallager ........................................................................... 21 2.2.3 Beanspruchungsaspekte .................................................................................. 22 2.2.4 Werkstoffreaktion auf die Überrollung .............................................................. 29 2.2.5 Einfluss von Einschlüssen auf die Werkstoffbeanspruchung ........................... 33 2.2.6 Lagerausfall ...................................................................................................... 37 2.2.7 Lebensdauerberechnung nach DIN ISO 281 .................................................... 40 3 Versuchsdurchführung ................................................................................................ 43 3.1 Versuchswerkstoffe und Wärmebehandlungen ..................................................... 43 3.2 Überrollung............................................................................................................. 46 3.2.1 Prüflager und Prüfringentnahme ....................................................................... 46 3.2.2 Prüfstand und Prüfbedingungen ....................................................................... 47 3.3 Zyklische Druck-Torsionsbelastung ....................................................................... 49 3.3.1 Probenform und Probenentnahme ................................................................... 50 3.3.2 Prüfmaschine und Prüfbedingungen ................................................................ 50 4 Versuchsergebnisse ..................................................................................................... 52 4.1 Reinheitsgrad nach DIN 50602 .............................................................................. 52 4.2 Karbidzeiligkeit nach SEP 1520 ............................................................................. 54 4.3 Elastisch-plastisches Werkstoffverhalten ............................................................... 55 4.4 Überrollung............................................................................................................. 58 4.4.1 Belastungsanalyse............................................................................................ 58 4.4.2 Beanspruchungsanalyse .................................................................................. 62 4.4.3 Lebensdauer ..................................................................................................... 67 4.4.4 Schadensanalyse ............................................................................................. 69 4.5 Zyklische Druck-Torsionsbelastung ....................................................................... 76 4.6 Vergleich der Lebensdauern aus Überrollung und Druck-Torsionsversuch ........... 78 4.7 Mikromechanische Untersuchungen ...................................................................... 82 4.7.1 Lastverteilung in den einzelnen Wälzkörpern des Lagers ................................ 82 4.7.2 Elastisch-plastisches Werkstoffverhalten der Matrix ........................................ 88 4.7.3 Elastisches Werkstoffverhalten von Karbiden .................................................. 91 4.7.4 Mikromechanische Modellierung von karbidischen Einschlüssen .................... 92 4.7.5 Einfluss des Abstandes zweier Karbide auf die Spannungs- und Dehnungszustände in der Matrix und in den Karbiden ..................................... 98

III 4.7.6

5 6 7

Einfluss des Karbidabstandes auf die Spannungs- und Dehnungszustände in der Matrix und in den Karbiden für eine Viererkonfiguration von Karbiden ................................................................... 104 4.7.7 Einfluss der elastischen Eigenschaften eines kugelförmigen Einschlusses auf die Spannungs- und die Dehnungszustände in der Matrix und dem Einschluss selbst .................................................................. 109 4.7.8 Einfluss eines zweiphasigen Einschlusses auf die Spannungs- und die Dehnungszustände in der Matrix und dem Einschluss selbst ........................ 114 4.7.9 Gegenüberstellung der Simulationsergebnisse .............................................. 117 Diskussion der Ergebnisse ........................................................................................ 120 Zusammenfassung und Ausblick .............................................................................. 126 Literatur........................................................................................................................ 128

IV Zeichen und Benennungen 1,2,3

Hauptrichtungen

I,II,III

geordnete Hauptrichtungen

a

Kontaktlänge der beiden Körper bei Hertzscher Pressung

a

axial

a

Amplitude

A

Messfläche

a1

Lebensdauerbeiwert für eine von 10 % abweichende Ausfallwahrscheinlichkeit

-

a2

Lebensdauerbeiwert für besondere Werkstoffeigenschaften

-

a3

Lebensdauerbeiwert für besondere Betriebsbedingungen

-

AA

Flächenanteil

-

aDIN

Lebensdauerbeiwert für Betriebsbedingungen

-

AP

Projizierte Fläche eines Partikels

AR

walzroh

b

Parameter der isotropen Verfestigung

b

Kontaktbreite der beiden Körper bei Hertzscher Pressung

μm

B

Bordbreite des Lagers

mm

C

Parameter der kinematischen Verfestigung

C

dynamische Tragfähigkeit des Lagers

kN

Cu

Ermüdungsgrenzbelastung

kN

CZ

Karbidzeiligkeit

d

Innendurchmesser des Innenrings

mm

D

Außendurchmesser des Lagers

mm

DEA

Dark Etching Area

e

elastisch

E

Elastizitätsmodul

MPa

E

Laufbahndurchmesser des Außenrings

mm

ec

Lebensdauerbeiwert für Verunreinigungen

f

Frequenz

Hz

F

Laufbahndurchmesser des Innenrings

mm

Fr

radiale Lagerlast

kN

G

Schubmodul

GEH

Gestaltänderungsenergiehypothese

GKZ

weichgeglüht

h

Schmierfilmdicke

i, j

Laufindizes

J’1,2,3

Invarianten des Deviators S‘

J1,2,3

Invarianten des Spannungstensors S

MPa, (MPa)2, (MPa)3

Jm,1,2,3

Invarianten des Kugeltensors Sm

MPa, (MPa)2, (MPa)3

k

Lasteinflussfaktor

-

k

Steigung der Wöhler- oder der Lebensdauerlinie

-

μm

mm2

mm2 -

-

-

MPa

μm - , (MPa) 2, MPa

V

K

Geometrieverhältnis b / a

-

L

nominelle Lagerlebensdauer (entspricht L10)

106

L10

Lebensdauer bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 10 %

106

LA

spezifische Linienlänge

mm-1

leff

effektive Berührlänge

mm

Lh

nominelle Lebensdauer in Stunden analog der nominellen Lebensdauer L

Lna

modifizierte Lebensdauer bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit von n %

106

Lnm

erweiterte Modifizierte Lebensdauer bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit n %

106

m

Mittelwert

m

Parameter der Streuung

max

Maximalwert

MV

Integral der mittleren Krümmung

mm-2

n

Drehzahl

min-1

N

Schwingspielzahl

N

normalgeglüht

NA

Teilchendichte

mm-3

NP

Teilchenanzahl in einer Messfläche

mm-2

O2

Sauerstoffgehalt

p

hydrostatischer Spannungsanteil

p

Lebensdauerexponent der Überrollung

p

plastisch

P

dynamisch äquivalente Lagerbelastung

p0

Hertzsche Pressung

MPa

pa

Amplitude des hydrostatischen Spannungsanteils

MPa

pm

mittlerer hydrostatischer Spannungsanteil

MPa

pmax

maximaler hydrostatischer Spannungsanteil

MPa

PTT

Hydropuls-Tension-Torsion-Prüfmaschine

q

Federungsexponent des Lagers

Q

Wälzkörperlast in Abhängigkeit von der Winkelstellung < des Wälzkörpers

Qf

Parameter der isotropen Verfestigung

Q*

auf die Kontaktlänge bezogene Wälzkörperlast Q

Qmax

maximal auftretende Wälzkörperlast

r

radial

R

Vergleichsradius

mm

Ra,i

Rauheitswert des Kontaktkörpers i bei Überrollung

μm

RG

Reinheitsgrad

ri

Radius des Kontaktkörpers i bei Hertzscher Pressung

Ri

Radius des Körpers i

rmax

maximaler Krümmungsradius

mm

rmin

minimaler Krümmungsradius

mm

Rp,n

Dehngrenze bei n % bleibender plastischer Verformung

MPa

s

Grenzflächenelement

mm2

h

-

-

MPa kN

kN MPa kN/mm kN

mm

VI

S

Nennspannung

MPa

S‘

Deviator (Tensor der Gestaltänderung)

MPa

SH

Schubspannungshypothese

Sij

Spannungstensor

MPa

Sm

Kugeltensor (Tensor der Volumenänderung)

MPa

t

Tangential

TN

Streuspanne der Größe N

UP

Umfang eines Partikels

v

Vergleichsgröße

V

Einheitsvolumen

VV

Volumenanteil

WB

Weiße Bänder

WEA

White Etching Area

x, y

Richtungen (senkrecht zueinander)

z

Richtung in die Tiefe (senkrecht zu Richtung x und zu Richtung y)

zGEH,max

Tiefe in der nach der GEH die größte Beanspruchung auftritt

<

Winkelstellung des Wälzkörpers zur Hauptlastrichtung

°

D, E

Gewichtungsfaktoren

-

0

mm mm3 -

μm

D

Parameter der kinematischen Verfestigung

MPa

H

Dehnung

10-6

H

Wirkhöhe der Lagerlast

H45°

Dehnung unter einem Winkel von 45° zur Probenlängsachse

J

Parameter der kinematischen Verfestigung

-

N

Viskositätsverhältnis

-

O

Spezifische Schmierfilmdicke

-

P

Reibkoeffizient

-

Q

Querkontraktionszahl

-

V

örtliche Spannung

MPa

V~

Parameter der isotropen Verfestigung

MPa

V m

Mittelspannung

MPa

Vokt

Oktaedernormalspannung

MPa

Vv

Vergleichsspannung

MPa

W

örtliche Schubspannung

MPa

Wa

Schubspannungsamplitude

MPa

Wm

Mittelschubspannung

MPa

Wmax

maximale Schubspannung

MPa

Wokt

Oktaederschubspannung

MPa

Zi

Kreisfrequenz des Körpers i

10-6

s-1

Einleitung 1

1

Einleitung und Zielsetzung

Wälzlager sind höchst belastete, einbaufertige Maschinenelemente. Sie bestehen aus Wälzkörpern, die zwischen Innen- und Außenring abrollen, sowie einem Käfig, der die Wälzkörper auf Abstand zueinanderhält. Im Betrieb kommt es infolge einer Hertzschen Pressung zu einer zyklischen Werkstoffbeanspruchung. Strukturelle Änderungen im Wälzlagerwerkstoff können zu einem Ermüdungsprozess führen. Die Auswahl geeigneter Werkstoffe und Wärmebehandlungen ist für die Zuverlässigkeit des Wälzlagers von entscheidender Bedeutung. Neben der Beanspruchung spielen für die Werkstoff- und Lagerauswahl, insbesondere bei Großserien, der Lagerpreis und die kompakte Bauweise eine entscheidende Rolle. Aus diesen Gründen wird bei der Lagerauswahl eine mögliche Überdimensionierung in der Regel bewusst vermieden. Ein weltweit häufig eingesetzter Wälzlagerwerkstoff ist der Stahl ISO 100Cr6 bzw. SAE 52100. Dieser Werkstoff spielt auch in anderen Bereichen der Technik, in denen hoch beanspruchte Bauteile wie z. B. in KFZ-Einspritzsystemen zum Einsatz kommen, eine wichtige Rolle. Zwar beträgt der Anteil dieses Stahls in der weltweiten Gesamtstahlerzeugung weniger als 0,4 %, jedoch ist seine Bedeutung unter den Edelbaustählen dominant. Zu diesem Stahl wurden in der Vergangenheit zahlreiche Untersuchungen unterschiedlichster Art durchgeführt. Neben der Verbesserung der Schmiermittel und der Herstellungstechnologien der Lager wurde dieser Stahl in seiner Reinheit, die durch die Stahlerzeugung bestimmt wird, und der Wärmebehandlung kontinuierlich optimiert. Hierdurch konnte die Lebensdauer der Wälzlager in den letzten Jahrzehnten um ein Mehrfaches gesteigert werden. Gleichzeitig hat sich der in früheren Jahren die Wälzfestigkeit maßgeblich begrenzende Einfluss des oxidischen Reinheitsgrades zu weiteren Einflussgrößen hin erweitert. Wenige Erkenntnisse gibt es bisher über den Einfluss der Karbidausbildung auf die Wälzfestigkeit. Gegenstand dieser Arbeit ist die Untersuchung unterschiedlich gefertigter Werkstoffchargen des Wälzlagerstahls 100Cr6 hinsichtlich x

der Lebensdauer von Rollenlagern (Prüfgegenstand ist der Innenring) in Abhängigkeit von der Mikrostruktur und der Karbidpopulation des Innenringwerkstoffs,

x

der Lebensdauer von Proben aus den Werkstoffzuständen des Innenringwerkstoffes, an denen überrollungsähnliche Beanspruchungen realisiert wurden,

x

der bei endlicher Lebensdauer vorliegenden Schadensbilder,

x

der Schadensursachen anhand von mikromechanischen FE-Modellierungen.

Das Ergebnis der Arbeit soll eine Beurteilung der Karbidzeiligkeit sowie der Einschlusspopulation hinsichtlich des Einflusses auf die Lebensdauer von Wälzlagern liefern.

2

2 Grundlagen und Kenntnisstand

2

Grundlagen und Kenntnisstand

Wälzlager dienen als Führungselemente von Maschinenteilen. Sie bestehen in der Regel aus zwei Ringen und einem Kranz von Rollkörpern (Kugeln, Zylinderrollen, Kegelrollen oder ähnliche Formen), die auf den Laufbahnen der Ringe abrollen. Die Lebensdauer eines Lagers wird durch die Betriebsbedingungen, wie Temperatur, Schmierstoff und dessen möglicher Verschmutzung, durch die Konstruktion des Lagers sowie durch die Werkstoffeigenschaften beeinflusst. Auf der Werkstoffseite sind alle Gefügeelemente schadensverdächtig, die zu Spannungsüberhöhungen führen und somit unter Belastung rissbildend wirken können. Nachdem in der Vergangenheit große Erfolge in der Reduzierung von nichtmetallischen Einschlüssen in Wälzlagerstählen erzielt wurden, wird in dieser Arbeit ein besonderes Augenmerk auf die Primärkarbide gelegt, deren Ausbildung von verschiedenen Faktoren abhängt. Als wichtigste sind in diesem Zusammenhang folgende zu nennen: x

Die chemische Zusammensetzung, insbesondere der Kohlenstoffgehalt

x

Der Erschmelzungs- und Gießprozess und die damit verbundenen Erstarrungsbedingungen

x

Eine sich daran anschließende Diffusionsglühung

x

Die sich daran anschließenden Umformbedingungen

Die angeführten Faktoren stehen prinzipiell im Zusammenhang. Die Bildung der Karbidnetzwerke bzw. die aus der Umformung resultierende Karbidzeiligkeit ist auf Seigerungszonen zurückzuführen. Aus diesem Grund kann deren Ausbildung durch metallurgische Maßnahmen vermindert werden. Der Werkstoff 100Cr6 neigt wegen seines relativ großen Erstarrungsintervalls zu ausgeprägten Kernseigerungen, sodass hier lokal sehr hohe Kohlenstoffgehalte vorliegen können. Dadurch sind die Bildung von ledeburitischen Gefügeanteilen sowie die Entstehung von großen Primärkarbiden möglich. Diese Erstarrung ist unerwünscht, denn diese Karbide können erst durch eine lange Diffusionsbehandlung aufgelöst werden [1,2]. Seigerungsspitzen können durch die Anwendung von Rühreinrichtungen während des Stranggussprozesses vermieden werden, wohingegen die Mittenseigerungen nur durch eine zusätzliche Verformung des Kerns während des Erstarrens beeinflusst werden können. Es ist bekannt, dass eine Diffusionsbehandlung auf die Ausbildung der Karbidnetzwerke Einfluss nehmen kann, ebenso spielen andere Legierungselemente wie Chrom, Mangan oder Molybdän eine Rolle, auch die Abkühl- und Aufheizbedingungen sowie die Haltezeiten stellen wesentliche Einflussgrößen dar [3,4,5,6]. Alle diese Faktoren beeinflussen die Fertigungskosten massiv, sodass die Frage der Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit erheblich betroffen ist. Aus dem nach dem Guss vorliegenden Karbidnetzwerk bilden sich durch die Umformung Karbidzeilen, deren Zeiligkeit nach dem Stahl-Eisen-Prüfblatt 1520 in die Richtreihen 6 (kompakt) und 7 (aufgelockert) eingeteilt und mit den Kennzahlen 0 bis 9 bewertet wird (vgl. Bild 6). Über diese Einteilung hinaus treten aber auch Zeiligkeiten auf, die sich nicht mithilfe des Stahl-Eisen-Prüfblattes bewerten lassen, da entweder die geringe Dichte der Karbidbelegung oder die Größe der Einzelkarbide dies nicht zulässt. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Richtreihe für die Erstarrungsbedingungen des Blockgusses entwickelt

2.1 Werkstoff

3

wurde, die Bedingungen des Stranggusses somit nicht immer zutreffend abgebildet werden. Hieraus ergeben sich leicht Fehlinterpretationen für die Zulässigkeit einer Gefügeausbildung. Jeder Wälzlagerhersteller schreibt in seinen Bestellvorschriften eine maximal zulässige Karbidzeiligkeit vor, zum Teil für beide Reihen, zum Teil jedoch nur für die Reihe 6. Untersuchungen haben gezeigt, dass zur Erzielung der geforderten Kennwerte ein Mindestumformgrad erforderlich ist [1]. Die Rechtfertigung dieser Grenzwerte ist in aller Regel historisch bedingt. Das heißt, systematische Lebensdauerprüfungen zum Einfluss dieser Werte auf die Bauteileigenschaften liegen bisher nicht vor. Durch die Wälzbeanspruchung ergeben sich hohe örtliche Pressungen von bis zu 4000 MPa, die an den sehr kleinen Kontaktstellen zwischen Laufring und Rollkörper übertragen werden und Hertzsche Pressung genannt werden [7]. Die Werkstoffe für Wälzlagerelemente müssen daher über eine hohe Festigkeit und Verschleißfestigkeit, ausreichende Zähigkeit, Maßstabilität, Glühbarkeit, Bearbeitbarkeit sowie über zuverlässige Herstellbarkeit verfügen. Um diese Eigenschaften zu erreichen, sind neben der chemischen Zusammensetzung, einer gleichmäßigen Gefügeausbildung und dem makroskopischen und mikroskopischen Reinheitsgrad auch eine gute Härtbarkeit und die Eigenspannungsverhältnisse von Bedeutung [7,8,9]. Bereits seit Anfang des letzten Jahrhunderts ist bekannt, dass schwach legierte Chromstähle besonders gut als Lagerwerkstoffe geeignet sind. Es finden heute hauptsächlich durchhärtbare Stähle mit etwa 1 % Kohlenstoff und zwischen 0,5 und 2 % Chrom, aber auch Einsatzund Vergütungsstähle für Lagerelemente Verwendung. Für extreme Betriebsverhältnisse wie korrosive Umgebungen oder erhöhte Temperaturen werden nicht rostende Stähle und warmharte Stähle benutzt. Tabelle 1 zeigt die zulässigen Wälzlagerstähle nach DIN EN ISO 683 [10]. 2.1

Werkstoff

Der in dieser Arbeit untersuchte Wälzlagerstahl 100Cr6 ist ein häufig eingesetzter Werkstoff für Teile bis 25 mm Wandstärke. Von ihm werden in Deutschland jährlich etwa 2,5 Mio. Tonnen hergestellt. Wird für größere Bauteilquerschnitte eine erhöhte Durchhärtung gefordert, werden Stähle mit einem höheren Anteil an Chrom, Mangan und Molybdän wie 100 CrMnSi 6-4, 100 CrMo 7, 100 CrMo 7-3 oder 100 CrMnMo 8-4-6 eingesetzt [11]. Die hohe Verschleißbeständigkeit der oben aufgeführten Stähle ist auf eine homogen verteilte, hochfeste Karbidphase im Gefüge zurückzuführen. Die Karbidverteilung ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal für Wälzlagerstähle und wird mit dem Stahl-EisenPrüfblatt (SEP) 1520 über den Vergleich mit Bildreihen beurteilt [12]. Die heterogene Karbidverteilung geht dabei aus Mikroseigerungen der Legierungselemente hervor, die während der Erstarrung entstehen und durch Walzverformung lang gestreckt werden. Bei der Abkühlung von den hohen Temperaturen der Wärmebehandlungen tritt eine Kohlenstoffanordnung in den gestreckten Seigerungszonen als Karbidzeilen ein. Das Schrifttum geht von einer negativen Beeinflussung der Verschleißfestigkeit und der Lebensdauer von Lagerelementen durch diese Gefügeinhomogenität aus [8,13,14]. Bei Ausbildung eines Karbidnetzwerkes wird ebenfalls von vorzeitigen Lagerausfällen berichtet [15].

4 Tabelle 1

2 Grundlagen und Kenntnisstand Zulässige Wälzlagerstähle nach DIN EN ISO 683-17 [10]

Kurzname

Werkstoffnummer

Durchhärtende Stähle

100 Cr 2 100 Cr 6 100 CrMnSi 6-4 100 CrMo 7 100 CrMo 7-3 100 CrMnMoSi 8-4-6

1.3501 1.3505 1.3520 1.3537 1.3536 1.3539

Einsatzstähle

17 MnCr 5 19 MnCr 5 16 CrNiMo 6 18 NiCrMo 14-6

1.3521 1.3523 1.3531 1.3533

Induktionshärtende Stähle

C 56 E 2 56 Mn 4 70 Mn 4 43 CrMo 4

1.1219 1.1233 1.1244 1.3563

Nichtrostende Stähle

X 47 Cr 14 X 65 Cr 14 X 108 CrMo 17 X 89 CrMoV18-1

1.3541 1.3542 1.3543 1.3549

Warmharte Stähle

80 MoCrV 42-16 13 MoCrNi 42-16-14 X 82 WMoCrV 6-5-4 X 75 WCrV 18-4-1

1.3551 1.3555 1.3553 1.3558

Ein entscheidendes Kriterium für die Lebensdauer von Wälzlagern ist der Reinheitsgrad des eingesetzten Stahlwerkstoffes. Nichtmetallische Einschlüsse sind Diskontinuitätszonen in der Matrix, die die mechanischen Eigenschaften des Werkstoffes örtlich beeinflussen und die mögliche Entstehung eines Anrisses unter schwingender Beanspruchung erleichtern. Somit erniedrigen sie die Ermüdungsfestigkeit und somit die Ermüdungslebensdauer (vgl. 2.2.5) [16,17]. Ursache dafür sind auftretende Spannungsüberhöhungen an der Grenzfläche zwischen Matrix und Einschluss, die aufgrund von unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten als Eigenspannungen sowie von verschiedenen Elastizitätsmodulen unter Belastung als Lastspannungen entstehen. Sowohl die Karbidverteilung als auch der Reinheitsgrad sind von der Erschmelzung des Werkstoffs abhängig. Beim Strangguss kommt es aufgrund der höheren Erstarrungsgeschwindigkeit zu einem feineren Gefüge und im Randbereich entstehen feinere Einschlüsse, als es beim Blockguss der Fall ist [1,18,19]. In der Vergangenheit musste beim Strangguss aufgrund des meist deutlich geringeren Umformgrades mit einem schlechteren makroskopischen Reinheitsgrad als beim Blockguss gerechnet werden [20]. Moderne Fertigungsverfahren (Reoxidationsschutz, Tundishmetallurgie, Pfannenbehandlung) führen jedoch zu makroskopischen Reinheitsgraden, die als mit dem des Blockgusses gleichwertig angesehen werden [1]. Beide Gießverfahren führen sowohl für Kohlenstoff als auch für andere Elemente zu Kernseigerungen [21]. Der Strangguss liefert über die Länge einer Charge geringere

2.1 Werkstoff

5

Streuungen der Dauerfestigkeitskennwerte als der Blockguss. Insbesondere der Kopf- und der Fußbereich des Blockes können deutlich erhöhte Streuungen der Lebensdauern aufweisen [22]. 2.1.1 Verarbeitungs- und Bauteileigenschaften der Wälzlagerstähle Einflüsse auf die Ermüdung beim Wälzlagerstahl 100Cr6 Wälzlager werden martensitisch gehärtet. Der aus der Wärmebehandlung resultierende Gehalt an Restaustenit und die Härte ergeben sich durch die gewählte Anlasstemperatur. Weiterhin bestimmt sie die höchste zulässige Betriebstemperatur. Verbunden mit einer höheren Anlasstemperatur scheidet sich mehr Kohlenstoff aus dem Martensit aus, womit eine spezifische Volumenverkleinerung verbunden ist. Als Folge der Kohlenstoffausscheidung findet eine Restaustenitumwandlung statt, die zu einer Zunahme des spezifischen Volumens führt. Durch die Überlagerung dieser beiden Vorgänge kommt es abhängig von der Anlasstemperatur zu Maßänderungen (Bild 1).

Bild 1

Härteabfall und Maßänderung in Abhängigkeit von der Anlasstemperatur [23]

Um die Maßstabilität eines Bauteils im Betrieb zu gewährleisten, wird die Anlassbehandlung in der Regel bei Temperaturen von etwa 50 K über der maximal im Betrieb auftretenden Temperatur durchgeführt. Die gängigen Anlassbehandlungen nach der martensitischen Härtung und die daraus resultieren Wälzlagereigenschaften sind in Tabelle 2 dargestellt. Die Thematik „Maßstabilität“ wurde u. a. von Slycke umfassend behandelt [24]. Mit zunehmender Anlasstemperatur sinkt die Härte, was in früheren Jahren mit einem Absinken der Dauerfestigkeit gleichgesetzt wurde. Diese Überlegungen, die mit Versuchen bei hohen Flächenpressungen und bei elastohydrodynamischem Kontakt untermauert wurden, haben jedoch keinen allgemeingültigen Charakter. Bei geringeren

6

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Flächenpressungen in Verbindung mit verschmutztem Schmierstoff, bei dem Partikel überrollt werden, spielt das Plastifizierungsvermögen des Werkstoffs zum Abbau von lokalen Spannungen eine wichtige Rolle. Tabelle 2

Zusammenstellung verschiedener Anlassvarianten [11]

Anlasstemperatur (Bezeichnung)

Mikrogefüge

Härte [HRC]

Zulässige Betriebstemperatur

150 bis 180°C (SN-Stabilisierung)

Martensit < 15 % Restaustenit

> 62

120°C

220°C (S0-Stabilisierung)

Martensit < 3 % Restaustenit

58 bis 62

150°C

240°C (S1-Stabilisierung)

Martensit < 1 % Restaustenit

57 bis 61

200°C

Ebenso ermöglicht es den Abbau von Spannungsspitzen an Einschlüssen im Werkstoffvolumen. Je nach den vorherrschenden Betriebsbedingungen kann eine optimale Wärmebehandlung somit unterschiedlich ausfallen; in Bild 2 ist dies schematisch dargestellt [17]. Ebenso wurde in früheren Jahren davon ausgegangen, dass ein quantifizierter Härteabfall bei erhöhten Betriebstemperaturen über 150 °C direkt mit dem Abfall der Ermüdungswälzfestigkeit korreliert werden könne. Nach neueren Erkenntnissen sinkt jedoch die Lebensdauer stärker ab, als es der Härteabfall erwarten ließe [25].

Bild 2

Möglicher Einfluss der Härte auf die Ermüdungslebensdauer bei verschiedenen Beanspruchungshöhen [17]

Allgemeine Einflüsse der Legierungselemente Die Eigenschaften der Werkstoffmatrix, der Primär- und Sekundärkarbide wie auch der entstehenden nichtmetallischen Einschlüsse werden stark durch die Auswahl der Legierungselemente beeinflusst. In Europa und Asien werden bevorzugt durchhärtende

2.1 Werkstoff

7

Wälzlagerstähle verwendet, welche sich durch eine hohe Härte und Festigkeit gleich bleibend über den ganzen Querschnitt des Bauteils auszeichnen. Die Wärmebehandlung wird so gewählt, dass ein, je nach notwendiger Maßstabilität und vorherrschenden Betriebsbedingungen, definierter Restaustenitgehalt eingestellt wird. Neben der martensitischen Härtung kann bei einer schlagartigen oder stark reibungsbehafteter Betriebsbeanspruchung eine bainitische Wärmebehandlung erfolgen, die dann günstigere Eigenspannungszustände bietet. In Bezug auf die Rissentstehung und das Risswachstum hat das Werkstoffverhalten wesentliche Bedeutung. Da bei den durchhärtenden Wälzlagerstählen die Matrix normalerweise auf eine hohe Härte und damit verbunden eine geringe Duktilität wärmebehandelt wird, kann ein initiierter Anriss bei entsprechenden Spannungen schnell wachsen. Aus diesem Grund hat bei diesem Werkstoffzustand die Vermeidung der Rissentstehung höchste Priorität. Die Ermüdungsschädigung wird unter elastohydrodynamischem Kontakt im Wesentlichen durch die Einschlusspopulation im hoch beanspruchten Werkstoffvolumen bestimmt [26]. Neben den durchhärtenden Wälzlagerstählen kommen auch einsatzgehärtete bzw. karbonitrierte Einsatz- und Vergütungsstähle, nicht rostende Wälzlagerstähle sowie warmfeste Wälzlagerstähle zum Einsatz. Die einsatzgehärteten bzw. karbonitrierten Stähle zeigen an der Oberfläche die gleiche Härte wie die durchhärtenden Stähle. Das Randgefüge kann jedoch hinsichtlich des Kohlenstoffgehalts, der Karbidausbildung sowie des Restaustenitgehalts gezielt eingestellt werden. In diesem Randbereich werden Druckeigenspannungen und hohe Härten erzeugt, während der Kern zäh bleibt. Unter ungünstigen tribologischen Bedingungen kann sich das Karbonitrieren bei diesen Stählen und auch bei durchhärtenden Stählen deutlich positiv auf die Lebensdauer auswirken [27,28,29]. Einfluss der Hauptlegierungselemente auf die mechanischen Eigenschaften Geringe Molybdängehalte (0,22 Masse-%) haben im Pulsatortest gegenüber den Standardgehalten des 100Cr6 (< 0,1 Masse-%) keinen Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften gezeigt [30]. Chrom, Vanadium, Niob, Wolfram und Molybdän wirken stabilisierend auf die bei typischen Kohlenstoffgehalten von durchhärtenden Wälzlagerstählen erwünschten Karbide. Unter erhöhten Lasten und Temperaturen behindern sie mögliche Gefügeveränderungen [31]. Die Ausbildung der Karbide wird stark von den Gießprozessen, den Erstarrungsbedingungen, den Bedingungen bei der thermischen Behandlung und der Umformung beeinflusst. Durch das breite Erstarrungsintervall von übereutektoiden Stählen und der damit einhergehenden Bildung eines Karbidnetzwerkes, das nach den folgenden Umformprozessen eine Karbidzeiligkeit bildet, weist Kohlenstoff auch negative Folgen für das mechanische Verhalten hochbelasteter Bauteile auf [8]. Durch den Unterschied der Elastizitätsmoduln zwischen Karbid und Matrix liegt hier ein möglicher Versagensort vor. In mit Mangan und Silizium legierten, hochkohlenstoffhaltigen Stählen lässt sich die Stabilität des Austenits durch Mangan verbessern. Der verbleibende Restaustenit beeinflusst den

8

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Kriechwiderstand positiv, sodass diese Stähle gut für den Einsatz bei erhöhten Temperaturen geeignet sind [32]. Übereutektoide Stähle mit 1 % C, 3 % Si und 2 % Mn weisen im bainitischen Zustand eine Kombination von hoher Festigkeit, guter Duktilität, hoher Bruchzähigkeit und hoher Ermüdungsfestigkeit auf. Dies kann im Wesentlichen ebenfalls auf das Mangan zurückgeführt werden, das eine positive Wirkung auf die Austenitstabilität hat. Da die Maßstabilität eine Funktion des Restaustenitzerfalls ist [11,24,33,34], verbessert ein stabiler und somit umwandlungsträger Austenit die Maßstabilität signifikant. Bei Anwesenheit von Restaustenit lässt sich durch einen erhöhten Kohlenstoffgehalt die Härtung optimieren und somit ein Bauteil mit hoher Härte und Zähigkeit erzeugen [32]. Einfluss der Hauptlegierungselemente auf das Wärmebehandlungsverhalten Die mit dem Stahl 100Cr6 durchhärtbaren Bauteildicken sind auf etwa 25 mm begrenzt. Durch Mangan lässt sich die Austenitumwandlung verzögern und damit die durchhärtbaren Querschnitte auf etwa 40 mm erhöhen. Ein gängiger mit Mangan legierter Wälzlagerstahl ist der 100CrMn6. Noch größere Bauteildicken können durch das Zulegieren von Molybdän durchgehärtet werden, wodurch sich auch eine stärkere Festigkeitszunahme, als bei mit Mangan legierten Stählen, einstellt [35]. Diese können durch die Zugabe von Silizium in ihrer Festigkeit weiter gesteigert werden [36]. Die Mechanismen zur Steigerung der Durchhärtbarkeit durch die Legierungselemente Mangan bzw. Molybdän sind verschieden, woraus sich für den späteren Ablauf der Härtung Unterschiede ergeben. Während Mangan die bainitische Umwandlung stark verzögert, führt Molybdän zu einer Verschiebung der Perlitumwandlung [35]. Das Legierungselement Aluminium führt bei moderaten Bainitisierungstemperaturen zu einer Stabilisierung des Restaustenitgehalts [37]. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in der Matrix gelöstes Aluminium die Karbidausscheidung verzögert. Negativ wirkt sich allerdings aus, dass nichtmetallische Aluminiumausscheidungen die Bauteillebensdauer stark herabsetzen können [38,39]. Aluminium wird auch zur Desoxidation eingesetzt. Alternativ wird Silizium verwandt, was allerdings zu einem etwas nadeligerem und somit gröberen Gefüge führen kann [36]. Silizium bietet jedoch den Vorteil, dass es den Wasserstoffgehalt in der Stahlschmelze durch das Herabsetzen der Löslichkeit von Wasserstoff, wie auch der von Kohlenstoff, deutlich reduziert und die Durchhärtbarkeit von hochkohlenstoffhaltigen, niedrig legierten Werkzeugstählen erhöht. Weiterhin ist es in Hinblick auf die Wirksamkeit der Härtbarkeit kostengünstig [40]. Zudem erhöht es die thermische Stabilität bzw. die Anlassbeständigkeit und Maßstabilität [41]. Silizium kann in der Ferritmatrix eine ausgeprägte Ausscheidungshärtung bewirken. Im Vergleich zum Aluminium weist es einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Festigkeitseigenschaften auf [37]. Gehalte von 0,35 bis 0,7 Masse-% sind in Wälzlagerstählen üblich [42]. Über den Einfluss der Legierungsgehalte auf die Gefüge- und die Sekundärkarbidausbildung ist kaum etwas bekannt.

2.1 Werkstoff

9

Einfluss der Hauptlegierungselemente auf die thermische Stabilität Durch das Anlassen, welches die Zähigkeit, die Dimensions- und die Gefügestabilität positiv beeinflusst, wird die Härte ungewollt abgesenkt. Durch das Zulegieren von Silizium, Niob, Wolfram und Molybdän wird eine erhöhte Stabilität gegen den Härteabfall bewirkt [31]. Silizium bewirkt zudem noch eine Erhöhung der Matrixfestigkeit. Eine Stabilisierung des Austenits kann durch Mangan erzielt werden [36]. Einfluss der Begleitelemente auf die Bauteillebensdauer Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Phosphor, Schwefel, Aluminium und Titan gelten als sogenannte Begleitelemente des Stahls, die sich aufgrund der eingesetzten Ausgangsstoffe und der Abläufe bei der Stahlerzeugung automatisch im Werkstoff befinden. Der Umfang des Vorhandenseins dieser Elemente hat einen Einfluss auf den Reinheitsgrad und auf die Gefügeausbildung. Sauerstoff zählt aufgrund seiner Möglichkeit zur Oxidbildung zu den Elementen, die eine deutlich negative Wirkung auf die Bauteillebensdauer haben. Durch die Verringerung des Sauerstoffgehaltes im Stahl konnte die Lebensdauer von Wälzlagern in den vergangenen Jahren deutlich gesteigert werden [43]. Zwar gibt es keine direkte Korrelation zwischen dem Sauerstoffgehalt und dem Reinheitsgrad oder der Lebensdauer, doch sind eindeutige Tendenzen unstrittig [44]. Durch die erfolgreiche Reduktion des Sauerstoffgehalts und der Verbesserung des oxidischen Reinheitsgrads treten andere rissinitiierende Ausscheidungen, insbesondere Titannitride bzw. Titancarbonitride, die aus Verunreinigungen der Legierungsstoffe wie z. B. Chrom entstanden, als die Lebensdauer begrenzende Größen auf. Ihre schädliche Wirkung soll jedoch unter Zug-Schwell-Beanspruchung deutlich ausgeprägter sein als bei Wälzbeanspruchung [45,46,47,48]. Auch Schwefel weist einen negativen Einfluss auf die Bauteillebensdauer auf. Er wird zum Teil zur besseren Zerspanbarkeit gezielt zugesetzt oder ist durch unzureichende Metallurgie im Stahl enthalten. Insbesondere wird davon ausgegangen, dass ein optimales SauerstoffSchwefel-Verhältnis für die Lebensdauer eines Bauteiles von Bedeutung ist. Eisen bildet mit Schwefel bei hohen Schwefelgehalten ein niedrig schmelzendes Eutektikum, welches die Körner netzförmig umschließt und zur sogenannten Rotbrüchigkeit führt. Dieser Effekt wird durch die Anwesenheit von Sauerstoff verstärkt. Weiterhin bilden Mangansulfide in der Stahlmatrix Unstetigkeitsstellen, die bei Wälzbeanspruchungen, wie andere Einschlüsse auch, zu Spannungsüberhöhungen führen. Es wurde jedoch auch beobachtet, dass Al2O3Einschlüsse, die mit MnS komplexe Verbindungen eingegangen sind, weniger hohe Spannungsspitzen in der Matrix erzeugen als reine Al2O3-Einschlüsse [49]. Lebensdauerversuche an reinen Stählen mit Sauerstoffgehalten im einstelligen ppm-Bereich haben gezeigt, dass sich durch eine Verringerung des Schwefelgehaltes von 0,013 auf 0,004 Masse-% eine Lebensdauersteigerung von etwa 25 % ergeben kann [50]. Resultate anderer Untersuchungen zeigen, dass eine Verringerung des Schwefel-, Phosphor- oder Titangehaltes nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der Ermüdungslebensdauer führt. Hier hat oftmals die Verringerung der Einschlussgrößen einen bedeutenderen Einfluss [43,51].

10

2 Grundlagen und Kenntnisstand

2.1.2 Gefügecharakterisierung Quantitative Gefügeuntersuchung Die quantitative Gefügeanalyse dient der Bewertung des untersuchten Gefüges, bei der die Beschreibung der Geometrie einzelner Gefügebestandteile im Vordergrund steht. Auf diese Weise wird ein Zusammenhang zwischen der Gefügeausbildung und der Herstellung des Materials bzw. bestimmten Werkstoffeigenschaften geschaffen [52]. Die betrachteten Gefügebestandteile müssen dazu repräsentativ für das Material sein und durch entsprechende Kontrastierung eindeutig identifiziert werden können. Zusätzlich wird vorausgesetzt, dass die lichtoptischen Abbildungsfehler auf die Messergebnisse ebenfalls eine minimale Auswirkung haben und für die Bestimmung von Kennwerten nicht berücksichtigt werden müssen [53]. Die vier wichtigsten Kennwerte der quantitativen Gefügeanalyse, die auch als Grundparameter bezeichnet werden, sind dabei der Volumenanteil VV, die spezifische Grenzfläche SV, das Integral der mittleren Krümmung pro Volumeneinheit MV und die Anzahl der untersuchten Teilchen je Volumeneinheit NV [54]. Unter dem Volumenanteil VV versteht man den prozentualen Anteil des untersuchten Gefügebestandteils am Gesamtvolumen des Materials. Die spezifische Grenzfläche SV - mit der Einheit mm-1 - ist ein Maß für die Größe von Grenzflächen. Sie beschreibt die mittlere Größe der Grenzfläche zwischen dem zu charakterisierenden Gefügebestandteil und dem restlichen Gefüge in einer Volumeneinheit des Probenmaterials. Das Ausmaß der Krümmung der Grenzflächen des Gefügebestandteils wird über das Krümmungsintegral angegeben. Über MV mit der Einheit mm-2 kann die Dispersivität eines Gefügebestandteils ausgedrückt werden. Bei hohen Werten von MV liegen in dem Gefüge mehr konvexe Anteile der Grenzfläche und somit mehr isolierte und kugelig eingeformte Bestandteile vor. Die Krümmung ist allgemein als der Kehrwert des Krümmungsradius zu verstehen. Wenn in einem Punkt der Grenzfläche eines isolierten Teilchens die Ebene, die den Krümmungskreis enthält, um die Grenzflächennormale gedreht wird, erhält man einen minimalen und einen maximalen Krümmungsradius [52,54]. Die mittlere Krümmung kann als Mittelwert aus dem minimalen und maximalen Krümmungsradius berechnet werden. Werden die Krümmungswerte aller Grenzflächenelemente s aufsummiert und auf ein Einheitsvolumen bezogen, erhält man das Integral der mittleren Krümmung pro Volumeneinheit nach Gleichung (2-1), Bild 3 [54].

MV MV V s rmin rmax

1 V

1§ 1

³ 2 ¨© r S

= Integral der mittleren Krümmung = Einheitsvolumen = Grenzflächenelement = minimaler Krümmungsradius = maximaler Krümmungsradius

min



1 · ¸ ds rmax ¹

(2-1)

2.1 Werkstoff

Bild 3

11

Integral der mittleren Krümmung pro Volumeneinheit MV [54]

Die Teilchenzahl je Volumeneinheit NV ist ein Parameter, der eigentlich zu der Gruppe der Werte VV, SV und MV gehört, jedoch ist dieser Wert mit Abbildungen aus der Lichtmikroskopie normalerweise nicht bestimmbar. Für die Bestimmung der Grundparameter werden zunächst aus der Aufnahme der Schlifffläche geometrische Merkmale bestimmt und gemessen. Über stereologische Verfahren, die in Punktanalysen, Linienanalysen und Flächenanalysen unterteilt sind, werden aus den Messergebnissen die Parameter für das dreidimensionale Gefüge berechnet [54], wobei oftmals bestimmte stochastische Maßnahmen zu berücksichtigen sind. Mit der Flächenanalyse, die über die Erfassung der Schnittflächen der Gefügeelemente arbeitet, können die meisten Größen zur Bestimmung der Gefügeparameter ermittelt werden. Zudem wird die Durchführung dieses Verfahrens durch die Anwendung von Bildverarbeitungsprogrammen erheblich vereinfacht, sodass eine Linien- und Punktanalyse für die Ermittlung der oben genannten Grundparameter heutzutage eher selten angewendet wird. Die drei Ergebniswerte der Flächenanalyse sind der Flächenanteil AA, die spezifische Linienlänge LA und die Teilchenanzahl pro Flächeneinheit NA. Der Flächenanteil AA wird in Prozent angegeben und ist der Anteil der aufsummierten Flächen des betrachteten Gefügebestandteils an der gesamten untersuchten Fläche, Gleichung (2-2) [54].

AA

¦A ¦A

P

˜ 100 %

(2-2)

AA = Flächenanteil AP = Fläche eines Partikels A = Messfläche eines Messfelds Unter der spezifischen Linienlänge LA mit der Einheit mm-1 wird der Quotient aus der addierten Länge aller Grenzflächen und der untersuchten Fläche verstanden, Gleichung (2-3) [54].

LA

¦U ¦A

P

(2-3)

LA = spezifische Linienlänge UP = Umfang eines Partikels Die Teilchendichte NA ist nach Gleichung (2-4) definiert und wird in Partikel/mm² angegeben.

12

2 Grundlagen und Kenntnisstand

NA

¦N ¦A

P

(2-4)

NA = Teilchendichte NP = Teilchenanzahl in einer Messfläche Für die Berechnung des Grundparameters Volumenanteil VV ist der Flächenanteil AA als Erwartungswert zu betrachten, Gleichung (2-5) [55]. So kann VV, unabhängig von der Form und Verteilung des betrachteten Gefügebestandteils im Material, näherungsfrei und ohne besondere statistische Umrechnung aus dem Flächenanteil AA bestimmt werden [53].

VV

AA

(2-5)

VV = Volumenanteil Reinheitsgrad Der Reinheitsgrad liefert Informationen über den Gehalt an nichtmetallischen Einschlüssen, wobei Zahl, Größe, Zusammensetzung, Gestalt und Verteilung von Interesse sind. In der Regel wird er metallografisch gemäß der DIN 50602 (bzw. SEP 1570) anhand von Bildreihen für Oxide und Sulfide bestimmt [56]. Die Proben müssen hierzu als Längsschliff (längs zur Verformungsrichtung des Materials) entnommen werden, Bild 4. Die auszuwertende Schlifffläche muss exakt parallel zur Verformungsrichtung liegen, da die Einschlüsse ansonsten in ihrer Längenausdehnung nicht korrekt erfasst werden. Die Proben werden sorgfältig geschliffen. Um Fehlbeurteilungen zu vermeiden, darf es nicht zum Ausbrechen der Einschlüsse kommen. Die Bildreihentafel ist für das Erscheinungsbild in 10 Spalten gegliedert, die jeweils in 9 Reihen unterteilt sind; diese bewerten die Erscheinungsgröße und werden mit den Ziffern 0 (sehr klein) bis 8 (groß) bezeichnet. Die Oxide sind in die Einschlussformen "aufgelöste Zeilen" (Typ OA), "strichförmige Zeilen" (Typ OS) und "globulare Einschlüsse" (Typ OG) aufgeteilt. Die Einschlusstypen OA und OS sind jeweils in die drei Spalten dünne und dickere Einschlusszeilen sowie Mehrfachzeilen unterteilt. Beim Typ OG wird zwischen Einzeleinschlüssen und mehreren Einschlüssen innerhalb eines Blickfeldes unterschieden. Bei den Sulfiden werden "strichförmige Zeilen" (Typ SS), dünne und dickere Einschlusszeilen charakterisiert.

Bild 4

Lage der Schlifffläche in Stabmaterial [56]

2.1 Werkstoff

13

Die Schliffe werden bei einer Vergrößerung von 100:1 ausgewertet, wobei dies der Vergrößerung der Richtreihenbilder entspricht. Die Schliffauswertung wird meist direkt am Mikroskop, unter Zuhilfenahme eines Teilkreises im Okular, durchgeführt. Das im Mikroskop sichtbare Bild wird dem Bild der Richtreihe zugeordnet, das am ehesten einem der Bilder aus der Richtreihe entspricht. Werden Einschlüsse ermittelt, die größer bzw. länger als der Durchmesser des Teilkreises sind, so werden die Maßangaben am unteren Rand des Vergleichsbildes zur Bewertung herangezogen. Die beobachteten nichtmetallischen Einschlüsse werden in der Schreibweise „Einschlusstyp. Einschlussgröße“ bezeichnet, z. B. für Sulfide 1.2 oder für Oxide 5.3. Grundsätzlich unterscheidet man die beiden Verfahren M und K. Das Verfahren M ermittelt welche maximalen Einschlüsse der verschiedenen Arten und Ausbildungsformen in den zu prüfenden Proben vorkommen. Die Schlifffläche soll etwa 200 mm² betragen. Zu jeder Bildreihe wird die maximal vorkommende Größenkennziffer der nichtmetallischen Einschlüsse aufgeschrieben. Bei dem Verfahren K werden alle nichtmetallischen Einschlüsse ab einer festgelegten Einschlussgröße erfasst. Die zu prüfende Fläche des Schliffs soll mindestens 100 mm² betragen. Die sulfidischen und die oxidischen Einschlüsse werden getrennt gezählt und aufgeschrieben. Die Anzahl der je Einschlusstyp und je Größenkennziffer erfassten Einschlüsse wird mit den entsprechenden Faktoren (Wertigkeit der gefundenen Einschlüsse) multipliziert, anschließend zu Summen addiert und auf eine Bezugsfläche von 1000 mm² umgerechnet. Die abschließende Wertzahlangabe kann entweder getrennt nach Oxiden und Sulfiden erfolgen, oder es wird eine gemeinsame Wertzahl für beide Einschlusstypen ermittelt. Die Kennziffer der kleinsten in der Auswertung berücksichtigen Größenklasse (0-9) wird zusätzlich zum Verfahren angegeben (z. B. K1). Moderne elektronische, bildanalytische Verfahren erlauben es heutzutage, größere Schliffflächen automatisiert zu untersuchen [57]. Hierbei werden individuelle Informationen über die Lage, die Geometrie und mittels EDX auch der chemischen Zusammensetzung einzelner Einschlüsse erfasst. Somit ist es möglich, eine mathematische Beschreibung der Häufigkeitsverteilung individueller Einschlussgruppen vorzunehmen. Weiterhin lassen sich neben der größeren Untersuchungsfläche mit dieser Technik auch kleinere Einschlüsse erfassen und analysieren. Neben dem metallografischen Verfahren zur Bestimmung des Reinheitsgrades nach DIN 50602 hat sich die Ultraschalltauchtechnik zur ergänzenden Bewertung der makroskopischen Reinheit etabliert. Die Durchführung dieser Prüfung ist im Stahl-EisenPrüfblatt 1927 festgelegt [58]. Diese Untersuchungsmethode liefert Informationen über die im Werkstoffvolumen vorhandenen Einschlüsse und Schlacken, die mit den herkömmlichen Verfahren nicht hinreichend ermittelt werden können [59,60]. Zwar ist das Detektionsvermögen hinsichtlich der kleinen Einschlussgrößen begrenzt, jedoch können große Volumina untersucht und somit einzelne makroskopische Einschlüsse gefunden werden (Bild 5). Um vergleichbare Ergebnisse zu erhalten, ist die genaue Einhaltung der Prüfbedingungen unerlässlich; einen großen Einfluss auf das Detektionsvermögen hat z. B. der verwendete Prüfkopf [61]. Der mikroskopische Reinheitsgrad lässt sich mit dieser Methode nur bedingt bestimmen, da die erzielbare Genauigkeit im Wesentlichen von der Anzahl der Einschlüsse im untersuchten Volumen abhängt. Die mit der US-Tauchtechnik

14

2 Grundlagen und Kenntnisstand

ermittelten Werte sind dann i. d. R. tendenziell größer als die mit dem metallografischen Verfahren ermittelten Werte [62]. Eine visuelle Makroreinheitsgradbestimmung lässt sich mit dem sogenannten Blaubruchversuch nach Stahl-Eisen-Prüfblatt 1584 durchführen. Hierbei wird eine ungekerbte Probe zwischen 300 - 400 °C gebrochen. Im Gegensatz zum Stahl sind die nichtmetallischen Einschlüsse dann nicht oxidiert und können in der Bruchfläche, evtl. unter Zuhilfenahme einer Lupe, detektiert und eingruppiert werden [63]. Ein weiteres aber hierzulande nicht mehr sehr gebräuchliches Verfahren zur Detektion makroskopischer nichtmetallischer Einschlüsse stellt der Stufendrehversuch dar. An einer Probe werden durch Abdrehen zylindrische Stufen mit unterschiedlichen Durchmessern erzeugt. Daran schließt sich eine optische Untersuchung der Oberfläche an. Das Verfahren ist im Stahl-Eisen-Prüfblatt 1580 beschrieben [64]. Der Stufendrehversuch weist eine geringere Empfindlichkeit als der Blaubruchversuch auf. Mittels chemisch-analytischer Verfahren lassen sich schließlich Einschlüsse bis zu einer Mindestgröße von etwa 50 μm nachweisen. Bei diesen Extraktionsverfahren können zwar große Volumina untersucht werden, jedoch sind sie sehr zeitaufwendig und können deswegen nicht routinemäßig eingesetzt werden [1]. Insgesamt muss festgestellt werden, dass kein Verfahren alleine eine ideale Beurteilung der Reinheit ermöglicht. So werden häufig mehrere Verfahren kombiniert eingesetzt, wobei z. B. auch Ermüdungstests infrage kommen [65]. Heutzutage ist es auch üblich, den Sauerstoffgehalt einer Stahlcharge zur Beurteilung der oxidischen Reinheit heranzuziehen [66].

Bild 5

Größenordnungen der mit verschiedenen nichtmetallischen Einschlüsse [67]

Prüfverfahren

nachweisbaren

2.1 Werkstoff

15

Karbidnetzwerk CN Reihe (Merkmalsart) 5, 200:1

5.0

5.1

5.2

5.3

5.4

5.5

5.6

5.7

5.8

5.9

Karbidzeiligkeit CZ Reihe (Merkmalsart) 6, geschlossen, 100:1

6.0

6.1

6.2

6.3

6.4

6.5

6.6

6.7

6.8

6.9

Reihe (Merkmalsart) 7, aufgelockert, 100:1

7.0

7.1

7.2

7.3

7.4

7.5

7.6

7.7

7.8

7.9

Bild 6

Auszug der Reihen 5 bis 7 aus der Bildreihentafel zum Stahleisen-EisenPrüfblatt 1520 - Mikroskopische Prüfung der Karbidausbildung in Stählen mit Bildreihen [12]

16

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Ausbildung von Karbiden Das Stahl-Eisen-Prüfblatt 1520 (SEP 1520) stellt eine Richtlinie zur mikroskopischen Prüfung der Ausbildung von Karbiden anhand von Bildreihen dar; ein Auszug der Bildreihentafel ist in Bild 6 zu sehen. Demnach handelt es sich um ein halbquantitatives Untersuchungsverfahren. Für die Untersuchung der Karbidzeiligkeit an Stabmaterial sind Längsschliffe anzufertigen, bei denen die Schliffebene so orientiert ist, dass sie parallel zur Hauptwalzrichtung verläuft und die Mittenachse des Stabs enthält. Die Schliffuntersuchung ist an einer gehärteten Probe durchzuführen, bei der die Härtetemperatur in der Mitte des zulässigen Härtetemperaturbereichs liegt. Im Falle des Wälzlagerstahls 100Cr6 erstreckt sich dieser von 830 °C bis 850 °C [68]. Nach dem Schleifen und Polieren der Probe wird eine Ätzung mit einer Lösung aus konzentrierter Salpetersäure in Alkohol durchgeführt, bei der die Matrix um die Karbide, bestehend aus Martensit und Restaustenit, schwarz geätzt wird. Die Karbide werden durch die Ätzlösung nicht angegriffen und heben sich im Lichtmikroskop dann hell von der dunklen Matrix ab. Das Prüfblatt sieht je eine Richtreihe für die Ausprägung der Karbidzeiligkeit in so genannter geschlossener (Reihe 6) und in offener Form (Reihe 7) vor, bei denen stets 100-fache Vergrößerung verwendet wird. Für die Charakterisierung des Karbidnetzes wird Richtreihe 5 verwendet und das Gefüge mit 200-facher Vergrößerung betrachtet. In jeder Reihe ist die Ausprägungsform der Zeiligkeit bzw. des Netzes in zehn Stufen von 0 bis 9 unterteilt. Das im Mikroskop sichtbare Feld (Blickfeld) sollte dabei durch einen Teilkreis im Okular des Mikroskops mit der Größe der Vergleichsbilder übereinstimmen. Bei der eigentlichen Bewertung der Karbidzeilen wird die gesamte zu untersuchende Fläche abgesucht. Von den Reihen 6 und 7 werden jeweils die Höchstwerte notiert, während bei Reihe 5 der am häufigsten auftretende Wert festgehalten wird. Als Ergebnis der Bewertung wird die Kennzahl der verwendeten Reihe und der bestimmten Stufe, getrennt durch einen Punkt, notiert (z. B. 7.3, 5.0 etc.) [12]. 2.2

Überrollung

Wälzlager bestehen aus Wälzkörpern, die auf Innen- und Außenring abrollen, sowie einem Käfig, der die Wälzkörper auf Abstand zueinander hält. Im Betrieb kommt es infolge einer Hertzschen Pressung zu einer mehrachsigen Beanspruchung. 2.2.1 Mehrachsiger Spannungszustand und Festigkeitshypothesen Der mehrachsige Spannungszustand wirkt auf ein differenzielles quaderförmiges Volumenelement im x,y,z-Koordinatensystem, wie es in Bild 7 für den allgemeinen Fall eines beliebigen Achsensystems dargestellt ist. Die Normalspannungen Vxx, Vyy und Vzz werden hierbei üblicherweise kurz mit Vx, Vy und Vz bezeichnet. Aufgrund des Momentengleichgewichts ist der Spannungstensor S symmetrisch und für die Schubspannungen gilt: ~Wij~= ~Wji~. Es existiert immer ein Hauptachsensystem, das durch Achsentransformation aus dem allgemeinen Fall erzeugt werden kann. In dem dazugehörigen Spannungstensor treten nur Normalspannungen, die sogenannten Hauptspannungen, und keine Schubspannungen auf. Die ungeordneten Hauptspannungen werden mit Zahlen von 1 bis 3 indiziert (2-7).

2.2 Überrollung

17

S

Bild 7

ªV x W xy W xz º « » «W yx V y W yz » «W zx W zy V z » ¬ ¼

(2-6)

Komponenten des Spannungstensors

ªV 1 0 0 º «0 V 0 »» 2 « «¬ 0 0 V 3 »¼

S

(2-7)

Die extremalen Schubspannungen, die als Hauptschubspannungen bezeichnet werden, wirken in Flächen, deren Normale jeweils senkrecht auf einer Hauptachse steht und mit den beiden anderen einen Winkel von 45 ° einschließt. Die Hauptschubspannungen lassen sich über die drei Hauptspannungen berechnen:

W1

V2 V3 2

V 3  V1

, W2

2

, W3

V1  V 2

(2-8)

2

Ordnet man die Hauptspannungen gemäß ihrer Größe, VI t VII t VIII, so ergibt sich die maximale Schubspannung zu:

W max

V I  V III

(2-9)

2

Für den Spannungstensor S existieren 3 Invarianten, die für jede Achsentransformation den gleichen Wert annehmen:

J1 spur (S ) V x  V y  V z

spurS

J2 J3

2

 spur 2 S



V xV y  V yV z  V zV x W xy2 W yz2 W zx2

det S V xV yV z  V xW yz2  V yW zx2  V zW xy2  2W xyW yzW zx

(2-10) (2-11) (2-12)

Für das Hauptachsensystem gilt dann:

J1 V1  V 2  V 3

(2-13)

J 2 V1V 2  V 2V 3  V 3V1

(2-14)

J 3 V 1V 2V 3

(2-15)

Der Spannungstensor S lässt sich in Anlehnung an Theorien der Bruchmechanik durch Superposition in einen Deviator S‘ und einen Kugeltensor Sm, den sogenannten hydrostatischen Spannungsanteil p, zerlegen (2-16), welche differierende

18

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Schädigungsrelevanzen aufweisen. Es wird davon ausgegangen, dass der hydrostatische Anteil keine Schädigungen hervorruft. Diese treten ausschließlich infolge des davon abweichenden deviatorischen Anteils auf.

S

ªV x W xy W xz º « » «W yx V y W yz » «W zx W zy V z » ¬ ¼

ªV x  p W xy W xz « Vy  p W yz « W yx « W zx W zy Vz  ¬

S '  Sm

º ªp » « »  «0 p »¼ ¬« 0

0 p 0

0º 0 »» p »¼

(2-16)

Der hydrostatische Spannungsanteil p berechnet sich aus dem Mittel der drei Hauptspannungen und ist ein Maß für die Volumenänderungsenergie:

p

V1  V 2  V 3

J1 3

3

˜

(2-17)

Der Kugeltensor besitzt die folgenden Eigenwerte:

J m1 3 p

(2-18)

Jm2 3 p2

(2-19)

p3

(2-20)

J m3

Der Deviator hingegen ist ein Maß für die Gestaltänderungsenergie. Die drei Invarianten des Deviators lauten für das Hauptachsensystem:

J '1

0

V  V 2  V 2  V 3  V 1  V 3  1 2

J '2

J '3

(2-21) 2

2

(2-22)

6

2V1  V 2  V 3 2V 2  V 3  V1 2V 3  V1  V 2

(2-23)

27

Werkstoffkennwerte werden in der Materialprüfung üblicherweise unter einachsiger Beanspruchung ermittelt und sagen deshalb zunächst nichts über die Widerstandsfähigkeit gegen mehrachsige Beanspruchung aus. Deshalb ist es notwendig, aus den einzelnen Komponenten des herrschenden Spannungszustandes einen einzelnen Spannungswert herzuleiten, der hinsichtlich des Festigkeitsverhaltens dem der Hauptspannung bei einachsiger Beanspruchung entspricht. Mit diesem Ziel wurden verschiedene Festigkeitshypothesen entwickelt, die es ermöglichen, eine sogenannte Vergleichsspannung Vv zu berechnen, welche die Beanspruchung des Werkstoffs wiedergibt. Erreicht die Vergleichsspannung eine kritische Größe, kommt es zum Versagen des Werkstoffs. Der räumliche Spannungszustand S lässt sich durch einen einfachen Vergleichsspannungszustand ersetzen, wenn man, wie in Bild 8, als Volumenelement ein regelmäßiges und um den Nullpunkt symmetrisches Oktaeder verwendet. Die Flächennormale des Oktaeders ist eine Raumdiagonale und die Normalspannungskomponente des in dieser Fläche wirksamen "Oktaeder-Spannungszustands" ist okt = p.

2.2 Überrollung

Bild 8

19

Auf Oktaederebenen wirksame Spannungen im Hauptachsensystem [69]

Mit der Beziehung Vokt2 +Wokt2 = 1/3 (V12+V22+V32) folgt:

W okt

1 3

V 1  V 2  V 2  V 3  V 1  V 3 2

2

2

(2-24)

Sowohl die Oktaedernormalspannung wie auch die Oktaederschubspannung lässt sich durch Invarianten ausdrücken und somit sind beide selbst auch Invarianten [70]:

V okt

J m1 2 , W okt 3

2  J '2 3

(2-25)

Im Bereich der Überrollung hat sich die Festigkeitshypothese nach von Mises (GEH) zur Bewertung der Beanspruchung etabliert [71]. Ihr liegt die in einem verformten Körperelement gespeicherte Gestaltänderungsenergie, die eine Funktion der deviatorischen Invarianten J‘2 ist, als Vergleichsgröße zugrunde. Überschreitet die GEH einen werkstoffabhängigen Grenzwert, so kommt es nach dieser Hypothese aufgrund von plastischer Formänderung zum Versagen des Werkstoffs. Dabei ist es nicht entscheidend, welcher Spannungszustand dazu führt. Der physikalische Hintergrund ist in der Tatsache zu sehen, dass die plastische Verformung durch Gleiten erfolgt, was durch die Deviatorspannungen bewirkt wird [72]. Die Vergleichsspannung dieser Festigkeitshypothese wird nach der folgenden Form berechnet:

Vv

3J '2

1 2

V 1  V 2  V 2  V 3  V 3  V 1 2

2

2

3 W okt 2

(2-26)

Neben der von Mises Hypothese wird bei Überrollungsvorgängen manchmal auch die Schubspannungshypothese (SH) nach Tresca angewandt, die davon ausgeht, dass das Werkstoffversagen aufgrund der größten wirkenden Schubspannung Wmax eintritt [73]. Als Vergleichsspannung Vv ergibt sich demnach:

V v V I  V III

(2-27)

Sie wird bei verformungsfähigen Werkstoffen angewendet, die durch Fließen oder Gleitbruch versagen, aber auch bei spröden Werkstoffen, bei denen ein verformungsloser Gleitbruch zum Versagen führt.

20

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Die dritte der drei gebräuchlichen Festigkeitshypothesen ist die Normalspannungshypothese (NH) nach Lamé, die bei Überrollungsbeanspruchung nicht zur Anwendung kommt. Sie ist geeignet, wenn das Werkstoffversagen infolge der maximalen Normalspannung unabhängig von den gleichzeitig vorhandenen Schubspannungen hervorgerufen wird. Die Vergleichsgröße ist die größte Normalspannung VI. Hieraus folgt für die Vergleichsspannung:

Vv V I

(2-28)

Ein solches Werkstoffversagen entspricht einer Werkstofftrennung senkrecht zur maximalen Hauptspannung in Form eines Trennbruchs. Hierzu kommt es, wenn der Bruch ohne vorherige plastische Verformungen erfolgt, wie es bei spröden Werkstoffen oder bei Bauteilen, bei denen die Verformungsmöglichkeiten des Werkstoffs durch die Art des Spannungszustandes stark eingeschränkt sind, der Fall ist. Die Beschreibung der Spannungen, die in einem Bauteil aufgrund einer schwingenden äußeren Belastung hervorgerufen werden, erfolgt elastizitätstheoretisch in der gleichen Weise wie bei statischer Beanspruchung. Die vorgenannten Festigkeitshypothesen berücksichtigen jedoch keine zeitlichen Effekte und sind somit nicht ohne Weiteres zum direkten Einsatz als Schwingfestigkeitshypothesen geeignet. Viele Schwingfestigkeitshypothesen sind aber nichts anderes als erweiterte Festigkeitshypothesen, die eine Bewertung der Zeitabhängigkeit der Beanspruchung, z. B. durch Berücksichtigung der Spannungsamplitude, der Oberspannung oder der Mittelspannung, vornehmen (Tabelle 3). Findley [75] und Mc Diarmid [76] entwickelten mit Normalspannungen erweiterte Schubspannungshypothesen. Mit hydrostatischen Spannungen erweiterte Schubspannungshypothesen wurden zum Beispiel von Dang Van [77] und von Bomas [78,79] aufgestellt. Hydrostatische Spannungen wurden ebenfalls bei der Erweiterung der Gestaltänderungsenergiehypothese durch Sines [81], Crossland [80] und Kakuno [82] berücksichtigt. Weiterhin gibt es Vergleichsspannungshypothesen von Simbürger [83] und von Zenner [84], die gemittelte Spannungsfunktionen zugrunde legen. Tabelle 3

Übersicht etablierter Schwingfestigkeitshypothesen [74]

Erweiterung der SH mit Normalspannungen

Findley [75] Wa max+D·V

Mc Diarmid [76] Wa max+D·Vmax

Erweiterung der SH mit hydrostatischen Spannungen

Dang Van et al. Bomas et al. [77] [78] Wa max+D·pmax Wa max+D·pm

Bomas et al. [79] Wa max+D·pm+E·pa

Erweiterung der GEH Crossland [80] mit hydrostatischen Wa okt+D·pmax Spannungen

Sines [81] Wa okt+D·pm

Kakuno und Kawada [82] Wa okt+D·pm+E·pa

Hypothesen mit Simbürger [83] Zenner et al. [84] 2S 2 S gemittelten 2 2 S n dM ; mit Sn= f(Wa, Va, Wm, Vm) a ˜ W a2  b ˜ V 2 ˜ 1  d ˜ V m dM Spannungsfunktionen

³ 0

³



0

Betrachtet man die um den maximalen hydrostatischen Spannungsanteil pmax erweiterten Schubspannungs- und Gestaltänderungsenergiehypothesen nach Sines, Crossland und Dang Van, dann stellt man fest, dass diese für reine Überrollungsbeanspruchung identisch

2.2 Überrollung

21

sind mit den originären Festigkeitshypothesen. Dies liegt daran, dass pmax im entlasteten Zustand auftritt und zu Null wird. Somit ist die Crossland-Schwingfestigkeitshypothese in der Anwendung bei reiner Überrollung identisch mit der von-Mises-Festigkeitshypothese. Allerdings ist anzumerken, dass es im zeitlichen Verlauf der Überrollung zum Aufbau von Eigenspannungen im beanspruchten Werkstoffvolumen kommt, wodurch sich pmax in der Regel verändert (vgl. 2.2.4). Eine speziell an die maximale und dynamische Werkstoffbeanspruchung in Wälzkontakten angepasste Variante der Schubspannungsintensitätshypothese wird von Hertter vorgeschlagen [85]. 2.2.2 Lastverteilung im Radiallager Die an einem Radiallager äußerlich angreifende Radialkraft Fr wird im Innern des Lagers zwischen Innen- und Außenring durch mehrere Wälzkörper übertragen. Bild 9 zeigt die generelle Verteilung einer solchen Belastung über die einzelnen Wälzkörper. Die Einzelbelastung eines Wälzkörpers bzw. einer Innen- oder Außenringstelle ist abhängig von der Stellung 2): Die Kontaktkörper haben infolge eines dicken Schmierfilmes keinen metallischen Kontakt miteinander. Dieser Schmierfilm baut sich nur bei ausreichenden Umfangsgeschwindigkeiten auf. Die Druckverteilung an der Oberfläche wird bei dieser Kontaktart nicht mehr durch die Hertzschen Gleichungen beschreiben, sondern es tritt eine Druckspitze auf, die über die Hertzsche Druckverteilung hinausgeht (Bild 14) [93,94,95]. Unter der Oberfläche kommt es zu erhöhten Schubspannungen, deren Lage oberflächennäher als bei der statischen Belastung ist. Eine umfassende und kritische Betrachtung des Kenntnisstands des Schmierungsverhaltens unter EHD-Wälzkontakt bei reinem Rollen wurde von Schlicht veröffentlicht [94].

x

Mischreibung oder Mangelschmierung: Einzelne Rauheitsspitzen erzeugen immer wieder metallischen Kontakt. Hierdurch kommt es zu Reibkräften und entsprechenden Schubspannungen in der Kontaktfläche. Die Beanspruchung der Oberfläche und des oberflächennahen Bereichs wird hierdurch vergrößert, so dass es auch zum Versagen von der Oberfläche ausgehend kommen kann [95,96].

x

Kontakt durch Partikel im Schmieröl: Dieser Kontakt wurde bei den durchgeführten Versuchen durch entsprechende Filterung vermieden und wird deshalb hier nicht näher behandelt. Grundsätzlich lässt sich jedoch sagen, dass es bei diesem Zustand zum Versagen im Oberflächenbereich kommt.

26

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Bild 14

Elastohydrodynamischer Schmierfilm und Druckstoß [97]

Elastohydrodynamische Schmierung

Mischreibung

Verschleiß

Partikelüberrollung

Bild 15

Unterschiedliche Schmierungszustände [98]

Aus den vorgenannten Betrachtungen ergibt sich, dass je nach Schmierungszustand zusätzlich zu den aus der Lagerbelastung resultierenden Belastungen in radialer Richtung mehr oder weniger starke Tangentialkräfte am Laufbahnkontakt angreifen. Zusätzlich spielen für die Größe dieser Tangentialkräfte auch noch andere Einflussgrößen eine Rolle, sodass diese alle unter dem Begriff Reibung zusammengefasst werden. Zur Analyse von Reibungszahl und Schmierfilmdicke für Mischreibungszustände wurde an der Otto-von-

2.2 Überrollung

27

Guericke-Universität ein Berechnungsmodul entwickelt. Die Grundlagen hierzu stellen die Werkstoffeigenschaften der im Kontakt befindlichen Reibkörper, deren Oberflächenbeschaffenheiten, die Eigenschaften des Schmierstoffes und die Belastungsparameter dar [99]. Eine Zusammenstellung aller für die Reibung relevanten Einflussfaktoren ist in Bild 16 gegeben. Im Allgemeinen wird das Maß der Reibung in diesem Zusammenhang durch den Reibkoeffizienten μ beschrieben, der als Quotient der Tangentialkraft zur Normalkraft (hier: Radialkraft) definiert ist.

Bild 16

Einflussgrößen auf das Reibungsmoment eines Wälzlagers [86]

Führt man die in Bild 13 gezeigte Finite-Elemente-Berechnung des Spannungsfeldes unter Berücksichtigung von Reibung durch, ergibt sich für ein exemplarisches μ von 0,25 das in Bild 17 wiedergegebene Diagramm. Es zeigt sich, dass das Vergleichsspannungsmaximum nun näher an der Oberfläche liegt und dessen Betrag zugenommen hat. Es sei angemerkt, dass ein derartig hoher Reibbeiwert in der Praxis üblicherweise nicht auftritt bzw. dann aufgrund der vorliegenden Mangelschmierung mit Ausfällen an der Oberfläche zu rechnen ist. Betrachtet man nur das jeweils in jeder Ebene auftretende Vergleichsspannungsmaximum über die Tiefe, so lässt sich das in Bild 18 gezeigte Diagramm für verschiedene Größen von μ entwickeln. Bei dieser Betrachtungsweise muss allerdings bedacht werden, dass die über die Tiefe berechneten Vergleichsspannungen für homogene Körper gelten. Durch die im Werkstoff unvermeidlich auftretenden Inhomogenitäten, insbesondere Einschlüsse, kommt es lokal zu Abweichungen von den in Bild 18 gezeigten Spannungsverläufen; in diesem Zusammenhang sei auf Kapitel 2.2.5 verwiesen.

28

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Bild 17

Örtliche Vergleichsspannungsverteilung nach Hertzschen Kontakts, mit Reibung μ = 0,25 [92]

von

Mises

unterhalb

des

Bild 18

Einfluss des Reibkoeffizienten auf den Verlauf der maximal auftretenden Vergleichsspannung nach von Mises [98]

Eine umfassende Untersuchung hinsichtlich der Ermüdungsmechanismen in der Randschicht wälzbeanspruchter Bauteile aufgrund der vorgenannten Einflüsse wurde im FVA-Forschungsvorhaben Nr. 148 durchgeführt [100]. Der jeweilige Einfluss aller in der Praxis auftretenden relevanten Beanspruchungsgrößen auf den Vergleichsspannungsverlauf nach von Mises ist in den Diagrammen in Bild 19 wiedergegeben. Eine zusammenfassende Darstellung der Oberflächenermüdung wurde von Kloos und Broszeit veröffentlicht [101].

2.2 Überrollung

Bild 19

29

Einfluss real auftretender Beanspruchungsbedingungen auf den von-MisesVergleichsspannungsverlauf im Hertzschen Kontakt [100,101]

2.2.4 Werkstoffreaktion auf die Überrollung Nach großen Überrollungszahlen und hohen Beanspruchungen treten in Wälzlagern unter der Laufbahnoberfläche Veränderungen der Werkstoffstruktur auf (Bild 20). Diese wurden aufgrund ihrer unterschiedlichen Anätzbarkeit „Dark Etching Areas“ und „White Etching Areas“ genannt [102,103]. Dark Etching Areas (DEA) bilden sich etwa in der Tiefe der maximalen Schubspannung als Folge der dabei auftretenden plastischen Verformungen [17,104,105]. Verbunden mit den Plastifizierungsvorgängen kommt es zur Kohlenstoffdiffusion und zur Modifikation von martensitischen Gefügebestandteilen (Bild 21). Innerhalb der Dark Etching Areas treten häufig nicht anätzbare Gefügebestandteile auf, die „White Etching Areas (WEA)“ genannt werden (Bild 22). Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Arten: Zum einen erscheinen sie als so genannte „Butterflies“, zum anderen als flache oder steile „weiße Bänder“. Butterflies entstehen an nichtmetallischen Einschlüssen oder größeren Karbiden, vorwiegend im Bereich der maximalen Schubspannung [17]. Ihre Struktur wurde als ferritisch identifiziert [106,110]. Sie bilden sich vorzugsweise bei geringen Überrollungsbelastungen im hohen Lastwechselbereich. An Butterflies wird sehr häufig Rissentstehung beobachtet [107]. Mithilfe der Focused-Ion-Beam-Präparationstechnik konnte nachgewiesen werden, dass es sich bei den Butterflies um ultrafeinen, rekristallisierten Ferrit handelt [108]. Nach großen Überrollungszahlen und hinreichender Hertzscher Pressung können in Überrollungsrichtung lang gestreckte dünne Bänder auftreten, die mit der Laufbahnoberfläche einen Winkel von 30 bis 35° einschließen und „flache, weiße Bänder“ genannt werden. Es soll sich dabei ebenfalls um ferritische Streifen

30

2 Grundlagen und Kenntnisstand

handeln, die als Folge örtlicher Wechselplastifizierungen entstehen [2,105,109,110]. Nach noch größeren Überrollungszahlen können so genannte „steile weiße Bänder“ entstehen, die mit der Oberfläche einen Winkel von 75 bis 80° bilden (Bild 23) [105,110]. Neuere Überlegungen gehen in die Richtung, dass es sich zumindest bei den steilen weißen Bändern um adiabatische Scherbänder handelt, die infolge eines Druckstoßes entstehen [111]. Es muss allerdings angemerkt werden, dass weiße Bänder bisher ausschließlich bei Lagern mit mehrfach gekrümmten Laufbahnen (Rillenkugellager, Schrägkugellager, etc.) beobachtet wurden, nicht hingegen bei Lagern mit zylindrischer Laufbahn. Als Ursache wird die unterschiedliche Kinematik im Wälzkontakt angeführt, die bei gekrümmten Laufbahnen zwangsweise zu Gleitvorgängen führt und die dann einen größeren Druckstoß verursachen, als er bei zylindrischen Laufbahnen auftritt [111]. Bisher wurde noch kein Einfluss der weißen Bänder auf die Lebensdauer beobachtet. Liegen im Bereich der entstandenen weißen Bänder Karbidausscheidungen, können diese mit der Zeit aufgelöst werden (Bild 24) [2].

Bild 20

Auftreten der DEAs und der Weißen Bänder in Abhängigkeit von der Flächenpressung und der Anzahl der Überrollungen [17,92,112]

Bild 21

TEM-Aufnahmen, Stadien der Martensitauflösung und der Ausbildung von „Dark Etching Areas“ unter Überrollungsbeanspruchung [110]

2.2 Überrollung

31

Bild 22

Metallografische Aufnahmen der zeitlichen Entstehung der DEAs und WEAs [110]

Bild 23

Detailaufnahme der Ausbildung von flachen und steilen weißen Bändern [110]

Bild 24

TEM-Aufnahmen, Zeitliche Entwicklung der Auflösung kleiner Karbide im Bereich weißer Bänder unter Überrollungsbeanspruchung [2]

32

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Als Folge der bei Überrollungen stattfindenden plastischen Verformungen verändert sich der Eigenspannungszustand im hoch beanspruchten Kontaktbereich. Dies betrifft sowohl die Eigenspannungen 1. Art, die in den Druckbereich verschoben werden, als auch die höherer Art [113]. Letztere können anhand der Breite von Röntgenbeugungslinien, die im Laufe der Belastung abnimmt, nachgewiesen werden. Voskamp zeigt in Bild 25 anhand eines überrollten Kugellagerinnenrings für die Eigenspannungen erster Art den kontinuierlichen Aufbau eines Druckspannungsverlaufs im überrollten Werkstoffvolumen mit zunehmender Anzahl an Überrollungen bei hohen Belastungen, der sein Maximum im Bereich der maximalen Werkstoffbeanspruchung hat [114]. Der Werkstoff erlebt die örtlichen Spannungen als Summe von Last- und Eigenspannungen. Hieraus erklärt sich auch die Lage der weißen Bänder, die nicht im Lastspannungsmaximum liegen, sondern aufgrund der entstandenen Eigenspannungen näher an der Oberfläche auftreten [95].

Bild 25

Zeitliche Entwicklung der tangentialen Eigenspannungen in einem überrollten Innenring [114]

Bild 26 zeigt schematisch die Entwicklung des Härtetiefenverlaufs eines Innenrings mit zunehmender Anzahl an Überrollungen. Die absoluten Größenangaben sind jedoch von vielen Faktoren wie der maximalen Hertzschen Pressung p0, der Betriebstemperatur, des Gefügezustands und auch des Lagertyps abhängig. Die tatsächliche zeitliche Entwicklung des Härtetiefenverlaufs ist somit eine Systemeigenschaft. Voskamp teilt die Werkstoffschädigung in drei Stadien ein: 1. „Shakedown“ 2. Stabiler Zustand 3. Instabilität [115,116]. Im Stadium 1 kommt es zu mikroplastischen Deformationen, zur Kaltverfestigung und zum Aufbau von Eigenspannungen; diese Vorgänge finden relativ zügig statt. Das zweite Stadium zeichnet sich durch eine weitgehende Stabilität aus, in dem nur geringe Strukturänderungen stattfinden; dieses Stadium kann je nach Beanspruchung sehr lange andauern (>109 Lagerumdrehungen). Im dritten Stadium kommt es dann im Wesentlichen zu Phasenumwandlungen, weiteren Eigenspannungsveränderungen und zur Ausbildung von Texturen. Den Versuch, die Übergänge der verschiedenen Stadien in Abhängigkeit von der Belastung und der Temperatur zu charakterisieren, hat Voskamp unternommen [117].

2.2 Überrollung

Bild 26

33

Entwicklung der Mikrohärte eines Kugellagerinnenrings über die Tiefe nach einer verschiedenen Anzahl an Überrollungen [110]

2.2.5 Einfluss von Einschlüssen auf die Werkstoffbeanspruchung Die unter 2.2.3 behandelten Spannungsverläufe gelten für einen homogenen Werkstoffzustand. In der Realität beinhaltet der Lagerwerkstoff jedoch Einschlüsse, die bei der Stahlherstellung entstehen. Das tatsächliche Erscheinungsbild dieser Einschlüsse im Bauteil hängt wesentlich von dessen Umformgrad ab. Die wichtigsten mikroskopischen Einschlussarten hinsichtlich ihrer Schädigungswirkung sind Titannitride TiN, Titancarbonitride Ti(C,N), Aluminiumoxide Al2O3, globulare Kalzium-Aluminate Al2O3-CaO, Oxisulfide und Sulfide S(Mn, Ca) (vgl. Bild 31). Diese Einschlüsse können statistisch beschrieben werden. Neben den mikroskopischen Einschlüssen gibt es noch makroskopische Einschlüsse, die z. B. beim Stranggießen als endogene Schlacken aus dem sogenannten Clogging entstehen können. Ihre Häufigkeiten liegen jedoch im Promillebereich der mikroskopischen Häufigkeiten; sie können statistisch nur schwer beschrieben werden [118]. Daneben können auch Karbide den Einschlüssen vergleichbare Dimensionen erreichen und weisen ähnlich den Oxiden zur Matrix unterschiedliche Festigkeits- und Steifigkeitseigenschaften auf. Aufgrund der in der Literatur vorliegenden Versagensbilder von Karbiden [119,120] wird angenommen, dass diese, wenn sie gut mit der Matrix verbunden sind, wegen ihres höheren Elastizitätsmoduls und der damit verbundenen Spannungsüberhöhung selber versagen, während die umgebende Matrix infolge des Karbidversagens geschädigt wird. Während der Belastung führt ein Einschluss aufgrund seiner zur Matrix verschiedenen Steifigkeit in der Matrix wie auch im Einschluss selbst zu einer je nach Grenzflächenhaftung unterschiedlich starken lokalen Spannungsüberhöhung (Bild 27). Für deren Berechnung wurden für spezielle und einfache Fälle analytische Lösungen entwickelt [121,122,123]. In den letzten Jahren wurden mit den Möglichkeiten der Finite-Elemente-Methode (FEM) sowie der Boundary-Element-Methode (BEM) für unterschiedliche Einschlüsse und Einschlusspopulationen zahlreiche Modelle gerechnet [zum Beispiel 124,125,126,127,128, 129]; Bild 28 zeigt ein Beispiel.

34

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Bild 27

Spannungsoptische Darstellung der Wirkung homogener einachsiger Belastung [130]

eines

Einschlusses

unter

Bild 28

Beispiel der Beeinflussung der Hauptspannungen und der daraus resultierenden Vergleichsspannung durch das Vorhandensein eines Einschlusses im Werkstoffvolumen unter Hertzschem Kontakt [130]

Diese Methoden erlauben es, auch das reale elastisch-plastische Werkstoffverhalten mittels eines Werkstoffgesetzes zu berücksichtigen, das z. B. durch Fließen einen teilweisen Abbau von Spannungsspitzen ermöglicht. Weiterhin ist es hiermit möglich, komplexe inhomogene und mehrachsige Belastungen zu berechnen, wie sie bei Überrollungsvorgängen vorliegen (Bild 29). Schließlich lassen sich auch Wechselwirkungen mehrerer Teilchen, die zudem noch inhomogen sein können, analysieren. Es hat sich gezeigt, dass von der Schädlichkeit eines Einschlusses in einem homogenen Spannungsfeld nicht ohne Weiteres auf dessen

2.2 Überrollung

35

Schädlichkeit unter einer mehrachsigen Beanspruchung geschlossen werden kann; hierbei spielen insbesondere Rissspitzeneffekte eine Rolle [131].

Bild 29

Beispiel für ein mit der BE-Methode berechnetes Spannungsfeld bei mit Reibung behafteter Überrollung eines Werkstoffvolumens mit mehreren Einschlüssen [129]

Bild 30

Lebensdauerverteilung eines aluminiumarmen Wälzlagerstahles vom Typ 100Cr6 im Vergleich zu einem Standardstahl vom gleichen Typ und zur Lebensdauer L10 [132]

36

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Ein beispielhafter Beleg für den die Lebensdauer vermindernden Einfluss von oxidischen Einschlüssen ist in Bild 30 wiedergegeben. Der aluminiumarme Werkstoff, der entsprechend weniger schädliche Aluminiumoxide enthält, erzielt eine dem konventionellen Zustand gegenüber mehrfache Überrollungslebensdauer. Ein häufig zitiertes Schädlichkeitsdiagramm für den Wälzlagerstahl 52100 hinsichtlich des Einflusses verschiedener Einschlusstypen auf die Ermüdungsfestigkeit bei 108 Zyklen im Umlaufbiegeversuch ist in Bild 31 zu sehen [67].

Bild 31

Schädlichkeitsindex verschiedener Einschlusstypen im Wälzlagerstahl 100Cr6 bei Umlaufbiegung [67]

Es hat sich jedoch auch gezeigt, dass eine Korrelation zwischen dem gemessenen Sauerstoffgehalt einer Stahlcharge, der häufig als Qualitätskriterium herangezogen wird, und der Ermüdungslebensdauer nicht ohne Weiteres herstellbar ist (Bild 32) [67]. Dies ist im Wesentlichen auf das unterschiedliche Erscheinungsbild der Oxide hinsichtlich ihrer Größe und Verteilung und der damit verbundenen Schädlichkeit zurückzuführen. Bild 33 zeigt anhand von Ergebnissen aus Umlaufbiegeversuchen, dass kleine oxidische Einschlüsse eine geringere Ermüdungsschädlichkeit aufweisen als große Oxide. Bei den Titannitriden war hingegen kein Unterschied feststellbar [67]. Dieses Diagramm liefert jedoch keine allgemeingültige Aussage, sondern muss immer im Kontext mit den jeweiligen Beanspruchungsverhältnissen gesehen werden.

Bild 32

Relation zwischen dem Gesamtsauerstoffgehalt des Stahls SAE 52100 und der Umlaufbiegewechselfestigkeit bei unterschiedlicher Erschmelzung [67]

2.2 Überrollung

Bild 33

37

Zusammenhang zwischen lokaler Spannung und Ermüdungslebensdauer für oxidische und nitridische Einschlüsse unterschiedlicher Größe bei Umlaufbiegebelastung [67]

Es wurde mehrfach festgestellt, dass, wenn der Titangehalt unterhalb eines kritischen Grenzwertes bleibt, welcher unterschiedlich hoch angenommen wird, es keine Lebensdauer mindernde Wirkung der Titaneinschlüsse gibt (Bild 34) [67,45,133,134].

Bild 34

Schematische Darstellung des Einflusses des Titangehaltes im Wälzlagerstahl 52100 auf die Wechselfestigkeit [67]

2.2.6 Lagerausfall Der Ausfall eines Lagers kann grundsätzlich von zwei unterschiedlichen Orten ausgehen: Zum einem können die Oberflächen, auf der die Lagerelemente abrollen, Versagen auslösend sein; dies wird als „surface fatigue“ bezeichnet. Zum anderen kann sich aufgrund unzureichender Werkstofffestigkeit im Volumen ein Anriss bilden, der sich bis zu einem kritischen Stadium weiterentwickelt. Die Bezeichnung hierfür heißt „subsurface fatigue“. Eine umfassende Übersicht ausgefallener Lagerelemente mit der Beschreibung der Ursache wurde von Tallian zusammengestellt [135]. Eine Broschüre der FAG Kugelfischer AG stellt eine Anleitung zur Schadenserkennung und Begutachtung gelaufener Wälzlager dar [136].

38

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Volumenschädigung (subsurface fatigue) Bei elastohydrodynamischem Kontakt und fehlerfreien Oberflächen erfolgt die Rissbildung im Allgemeinen unter der Laufbahn an Stellen mit örtlichen Spannungsüberhöhungen. Wälzund wälzgleitbelastete Bauteile versagen durch Grübchenbildung als Folge der in Kapitel 2.2.4 beschriebenen Werkstoffreaktionen. Die Grübchen bilden sich ausgehend von Mikrorissen, die an Einschlüssen, Karbiden oder ehemaligen Austenitkorngrenzen entstehen [113]. Bild 35 zeigt anhand von überrollten und längs der Laufbahn getrennten Innenringen links die Rissentstehung an einem Einschluss unterhalb der Laufbahn und rechts ein fortgeschrittenes Stadium, bei dem es bereits zu einer umfangreichen Verästelung des Risses und einem Ausbruch an der Oberfläche (Pitting) gekommen ist.

Bild 35

Rissentstehung und Rissausbreitung unterhalb der Laufbahn Lagerinnenrings infolge von Überrollungsbeanspruchung [137]

eines

Bild 36 zeigt zwei von Volumendefekten ausgehend geschädigte Laufbahnen. Es ist erkennbar, dass es zum elliptischen Aufwachsen mehrerer paralleler Risse aus der Tiefe gekommen ist. Eine weitere Überrollungsschädigung würde innerhalb kürzester Zeit zu einem größeren Materialausbruch aus der Laufbahn (Pitting) führen. Verbunden mit diesen Vorgängen in einem Lager kommt es zu einer deutlichen Zunahme der Geräuschentwicklung und der Betriebstemperatur.

Bild 36

Durch einen überrollten Volumendefekt geschädigte Laufbahnen, links: gerade Laufbahn, rechts: gekrümmte Laufbahn [136]

2.2 Überrollung

39

Oberflächenschädigung (surface fatigue) Die Schädigung der Kontaktflächen der Lagerelemente erfolgt primär bei unzureichender Schmierung (Misch- bzw. Mangelschmierung) oder bei Vorhandensein von Partikeln im Schmiermittel. Daneben kann auch eine unzureichende Relativbewegung der Lagerteile oder eine zu hohe Betriebstemperatur eine massive Oberflächenschädigung verursachen. Weiterhin sind korrosive Einflüsse bei bestimmten Einsatzgebieten von Bedeutung. Wird ein hinreichend großer elektrischer Strom durch das Lager geleitet, können Schmelzkrater entstehen. Schließlich kann auch der unzureichende Werkstoffwiderstand zur Oberflächenermüdung führen. Neben den betriebsbedingten Schädigungsursachen sind häufig auch Beschädigungen, die bei der Lagermontage entstehen, für spätere Oberflächenausfälle verantwortlich. Nachfolgend sind mittels rasterelektronischer Untersuchungen aufgenommene Beispiele wichtiger Schädigungszustände der Kontaktflächen dargestellt. Links ist jeweils eine Übersichtsaufnahme zu sehen und rechts eine entsprechende Detailaufnahme [138].

Bild 37

Beispiele für Schädigungsarten der Laufflächen [138]

Oberflächenausfälle können durch angemessene Konstruktions-, Fertigungs- und Wartungsmaßnahmen stark beeinflusst bzw. vermieden werden. Eine weitere Steigerung der Ermüdungslebensdauer, die dann i. d. R. durch Volumenversagen bestimmt wird, ist bei festgelegter Lagergeometrie nur noch über eine Werkstoffmodifikation möglich.

40

2 Grundlagen und Kenntnisstand

2.2.7 Lebensdauerberechnung nach DIN ISO 281 Nominelle Lebensdauer Die Berechnung der nominellen Lebensdauer L eines Wälzlagers geht auf die Theorie von Lundberg und Palmgren zurück [139,140]. Diesem Ansatz liegt das Integral über das hoch beanspruchte Werkstoffvolumen der akkumulierten Erlebenswahrscheinlichkeiten zugrunde. Die daraus folgende Grundgleichung zur Berechnung dieser immer endlichen Lebensdauer L ist in der DIN ISO 281 [141] folgendermaßen beschrieben: p

L L

L

h

C P

§C· ¨ ¸ bzw. Lh ©P¹

L10

16666 § C · ¨ ¸ n ©P¹

p

(2-37)

= nominelle Lebensdauer in Millionen Umdrehungen, die von 90 % einer genügend großen Menge gleicher Lager erreicht oder überschritten wird, bevor die ersten Anzeichen einer Werkstoffermüdung auftreten = nominelle Lebensdauer in Betriebsstunden analog der Definition für L = dynamische Tragzahl = dynamisch äquivalente Lagerbelastung P = X F + Y F mit X, Y: Radial-, Axialfaktor der Lagerbauform r

a

F , F : Radial-, Axiallast r

p n

a

= Lebensdauerexponent für Nadel- und Rollenlager: p = 10/3, für Kugellager: p = 3 = Betriebsdrehzahl in min-1

Die nominelle Lebensdauer L entspricht eigentlich der nominellen Lebensdauer L10, wobei die 10 im Index für 10 % Lagerausfallquote bei einer hinreichenden Anzahl gleichartiger, geprüfter Lager steht. Die dynamische Tragzahl C wird vom Lagerhersteller mitgeteilt und stellt eine Belastbarkeitsgröße dar. Die dynamisch äquivalente Lagerlast P ist eine gewichtete Superposition der axial und der radial auf das Lager wirkenden Lasten. Die Lasteinflussfaktoren X und Y sind produktspezifisch und im Wesentlichen von der Geometrie der Lagerelemente abhängig. Z. B. beträgt der axiale Lasteinflussfaktor Y für ein reines Radiallager null. Der Lebensdauerexponent n wurde empirisch ermittelt und ist für die Kontaktarten linienförmig und punktförmig unterschiedlich groß [142]. Diese Berechnungsmethode berücksichtigt als Schädigungsgröße ausschließlich die auf das Lager wirkenden Belastungen ohne Berücksichtigung von Schmierung. Durch den für eine Lagergeometrie fixen Lebensdauerexponenten n ergeben sich für unterschiedliche dynamische Tragzahlen parallele Lebensdauerlinien im doppeltlogarithmischen BelastungsLebensdauer-Diagramm. Modifizierte Lebensdauer Die Berechnung der modifizierten Lebensdauer Lna stellt eine Modifikation der Berechnung der nominellen Lebensdauer L dar. Sie kommt zum Einsatz, wenn weitere Einflüsse bekannt sind oder eine von 90 % abweichende Erlebenswahrscheinlichkeit gefordert wird. Hierbei wird die nominelle Lebensdauer durch drei Vorfaktoren korrigiert, woraus auch immer eine endliche Lebensdauer resultiert, Gleichung (2-38).

2.2 Überrollung

41

Lna Lna L a1 a2 a3

a1 a2 a3 L

(2-38)

= modifizierte Lebensdauer bei einer Erlebenswahrscheinlichkeit von (100-n) % = nominelle Lebensdauer = Lebensdauerbeiwert für eine Erlebenswahrscheinlichkeit, die von 90 % abweicht = Lebensdauerbeiwert für besondere Werkstoffeigenschaften = Lebensdauerbeiwert für besondere Betriebsbedingungen

Der Lebensdauerbeiwert a1 ermöglicht es Erlebenswahrscheinlichkeiten eines Lagers zu berechnen, die von 90 % abweichen. Die entsprechenden Werte können aus einem Diagramm, das von den Lagerherstellern bereitgestellt wird, abgelesen werden. Die Verteilung, die sich mathematisch dahinter verbirgt, entspricht einer Weibullfunktion. Der Lebensdauerbeiwert a2 berücksichtigt Werkstoffe, die nicht dem Standardmaterial entsprechen - für den Referenz-Wälzlagerstahl entspricht a2 eins. Der in der Praxis mit ihm werden unterschiedliche relevanteste Lebensdauerbeiwert ist a3; Betriebsbedingungen erfasst. Als Einflussgröße geht hierbei das Viskositätsverhältnis N ein, das wiederum von der Lagergeometrie, der Betriebsdrehzahl, der Betriebstemperatur und dem eingesetzten Schmierstoff abhängt. Aus dem anhand von Diagrammen und Tabellen ermittelten Viskositätsverhältnis N und der vorherrschenden Reinheit des Schmiermittels, die z. B. durch Filterung oder konstruktive Maßnahmen beeinflusst werden kann, lässt sich wiederum anhand eines Diagramms der Lebensdauerbeiwert a3 bestimmen (Bild 38) [142].

Bild 38

Bestimmung des Lebensdauerbeiwerts a3 [142]

Erweiterte modifizierte Lebensdauer Die Berechnung nach der erweiterten modifizierten Lebensdauergleichung ist im Beiblatt 1 der DIN ISO 281 beschrieben. Sie geht auf Arbeiten von Lorösch und Schlicht sowie von Ioannides und Harris zurück, bei denen entgegen den vorherigen Berechnungsansätzen auch unendliche Lebensdauern ermittelt werden können [143,144,145]; hierbei findet die Dauerfestigkeit des Werkstoffs Berücksichtigung. Die daraus folgende Grundgleichung für diese Lebensdauer ist ähnlich der der modifizierten Lebensdauer aufgebaut:

42

2 Grundlagen und Kenntnisstand

Lnm

a1 aDIN L

(2-39)

Lnm = erweiterte modifizierte Lebensdauer für eine Erlebenswahrscheinlichkeit von (100-n) % L = nominelle Lebensdauer a1 = Lebensdauerbeiwert für eine Erlebenswahrscheinlichkeit, die von 90 % abweicht aDIN = Lebensdauerbeiwert für Betriebsbedingungen Der Lebensdauerbeiwert a1 entspricht dem der modifizierten Lebensdauer. Der Lebensdauerbeiwert aDIN fasst die beiden Beiwerte a2 und a3 der modifizierten Lebensdauerberechnung zusammen. Der neue Ansatz zur Bestimmung von aDIN ist nachfolgend wiedergegeben (Bild 39):

aDIN

ªe C º f « c u ,N » ¬ P ¼

(2-40)

ec = Lebensdauerbeiwert für Verunreinigungen Cu = Ermüdungsgrenzbelastung P = dynamisch äquivalente Lagerbelastung

N

= Viskositätsverhältnis

Bild 39

Bestimmung des Lebensdauerbeiwerts aDIN [142]

Der Lebensdauerbeiwert für Verunreinigungen ec berücksichtigt den Grad der Verschmutzung, der von der Anzahl, der Größe und der Konsistenz der überrollten Partikel abhängt, sowie die Lagergröße und ist wiederum aus einer Tabelle zu ermitteln. Die Ermüdungsgrenzbelastung Cu wird vom Lagerhersteller auf Basis der Theorie von Ioannides und Harris ermittelt und beinhaltet eine Ermüdungsgrenze des Werkstoffs. Sie ist definiert als die Belastung, unterhalb der, bei idealen Betriebsbedingungen, keine Ermüdung im Werkstoff auftritt [142]. Im Belastungs-Lebensdauerdiagramm tritt nun eine untere Grenzbelastungsgerade auf, unterhalb der kein Lagerausfall auftritt.

3.1 Versuchswerkstoffe und Wärmebehandlungen

43

3

Versuchsdurchführung

3.1

Versuchswerkstoffe und Wärmebehandlungen

Um den Einfluss unterschiedlicher Fertigungsbedingungen bei der Halbzeugfertigung auf die Ausbildung der Karbidzeiligkeiten abzubilden und den jeweiligen Einfluss zu charakterisieren, wurde Material führender deutscher Stahlhersteller mit unterschiedlichen chemischen Zusammensetzungen sowie aus unterschiedlichen Prozessrouten untersucht (Bild 40). So standen drei Stranggussvarianten (2x Kreisbogenanlage, 1x Vertikalanlage) mit jeweils zwei verschiedenen Kohlenstoffgehalten zur Verfügung. Das im Blockguss erzeugte Material lag nur mit einem Kohlenstoffgehalt vor, jedoch wurde bei der Hälfte des Werkstoffes eine Diffusionsglühung vor der Warmumformung durchgeführt, während die andere Hälfte ohne Diffusionsglühung umgeformt wurde. Alle untersuchten Werkstoffe mit Ausnahme der Chargen E und M standen in den Wärmebehandlungszuständen walzroh, normalgeglüht und GKZ-geglüht zur Verfügung.

Bild 40

Untersuchte Werkstoffvarianten

Tabelle 4 fasst die einzelnen Gießformate, die gelieferten Abmessungen sowie die resultierenden Umformgrade zusammen. Die jeweiligen Wärmebehandlungsparameter sind in Tabelle 5 dargestellt. Die unterschiedlichen Parameter der jeweiligen Wärmebehandlungsart resultieren aus den herstellerspezifischen Gegebenheiten. Im weiteren Verlauf werden die Bezeichnungen AR, N und GKZ als Abkürzung für die drei Behandlungszustände walzroh (AR), normalgeglüht (N) und weichgeglüht (GKZ) beibehalten (Tabelle 6). Tabelle 4

Abmessungen und Umformgrade des Versuchsmaterials

Kurzzeichen

Gussformat

B1 bis B6

konischer Block, ca. 475 mm x 475 mm

E3 E6

475 mm x 340 mm

K1 bis K6 M S1 bis S6

265 mm konischer Block, ca. 680 mm x 480 mm 240 mm

Halbzeugabmessung

Umformgrad M

120 mm

15,6

90 mm 2 100 mm 2

25,4 20,6

60 mm 2

24,8

100 mm 2

32,6

60 mm 2

20,4

44

3 Versuchsdurchführung

Tabelle 5

Wärmebehandlungen des Probenmaterials (Halbzeuge)

Kurzzeichen

Behandlungszustand

T, °C

Zeit, h

Abkühlung

B1, B4

AR

-

-

an Luft

B2, B5

N

860

5

an Luft

B3, B6

GKZ

735

8

Ofen bis 700 °C, dann Luft

E3, E6

GKZ

n. b.

n. b.

n. b.

K1, K4

AR

-

-

an Luft

K2, K5

N

930

0,5

an Luft

K3, K6

GKZ

720

8

Ofen bis 650 °C, dann Luft

M

GKZ

n. b.

n. b.

n. b.

S1, S4

AR

-

-

an Luft

S2, S5

N

900

0,5

an Luft

S3, S6

GKZ

800

18

an Luft

Aufgrund der großen Anzahl an Werkstoffzuständen wurde folgendes 4-stellige Kennzeichnungssystem eingeführt (ohne M): 1. Suffix: 2. Suffix: 3. Suffix:

Hersteller/Herstellungsroute (K,S,E = Strangguss; B, M = Blockguss), C-Gehalt und WB-Zustand gemäß Tabelle 6, Probennummer 1-9.

Tabelle 6

Systematik der Probenbezeichnung

Strangguss Hersteller

C-Gehalt | 0,95%

E K S | 1,05%

WB-Zustand

Nummer

AR

1

Normalgeglüht

2

GKZ

3

AR

4

Normalgeglüht

5

GKZ

6

WB-Zustand

Nummer

AR

1

Normalgeglüht

2

GKZ

3

AR

4

Normalgeglüht

5

GKZ

6

GKZ

-

Blockguss Hersteller

Diff.-glühung vor dem Walzen

ja B nein

M

nein

3.1 Versuchswerkstoffe und Wärmebehandlungen

45

Tabelle 7 zeigt die chemische Zusammensetzung der untersuchten Werkstoffvarianten des Wälzlagerstahls 100Cr6. Zusätzlich sind die in der DIN EN ISO 683-17 [10] angegebenen Grenzwerte für Legierungs- und Begleitelemente aufgeführt. Tabelle 7

Sollanalyse des Stahls 100Cr6 und chemische Zusammensetzung des Probenmaterials in Masse-%

Element DIN EN ISO 683-17

C

Si

Mn

P

S

Cr

Al

Cu

1,350,90- 0,15- 0,25

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